O’zapft is!


Ein paar Tagstunden noch hatte der Himmel ein Einsehen. Und ließ Riesenräder, Eurostars und Geisterbahnen in den Sonnenhimmel fahren. Dirndl im Sommerwind wehen und Raucher trockenen Hauptes vor den Bierzelten lungern. Trockenen Fußes eher nicht, denn auf den Holzbohlen schwamm sicher schon bald das Bier in Lachen. Wie „über den Wolken“, nur gespiegelt, im Himmel der Bayern.

Ein paar Stunden Oktoberfestsonne sind jetzt vorbei. Mit einem Paukenschlag und einem gleißenden „Spot“ kam das Nachtgewitter. Gleich beim ersten Blitz fiel der Fernseher aus. Die Kerzen brannten schon seit einer Stunde, und hinter schwarzen Scheiben zählte ich weiße Hagelkörner beim Terrassentanz.

Als dickes Kind wohnte ich in der Schlossstraße. 250 Quadratmeter, Stuckdecken über 4 Meter hohen Räumen, geschnitzte Ornamente über den Türen und bei jedem Gewitterguss Plastikeimer unter den riesigen Sprossenfenstern. War es ein längerer Regen, mussten wir den ein oder anderen Eimer zwischendurch ausleeren.

Und dann blitzte es und die große  Linde auf dem Hofplatz wurde grau und dann, ganz kurz, grellgrün. Und dann war es dunkel um uns. Und wir hatten schon wieder vergessen, di Streichhölzer auf den Tisch zu legen. Suchten die Kerzen und tappten uns auf die Füße und quiekten und kicherten. Und mein Vater, der das Feuerzeug  immer in der Hosentasche hatte, ließ uns gewähren.

Im Kerzenschein durften wir länger als üblich aufbleiben. Keine zehn Pferde hätten mich ins Bett gebracht. Vampire und Werwölfe, Hexen und Mörder hätten sich unbemerkt in mein Zimmer schleichen können, in der Dunkelzeit. Also spielten wir Schattentheater am Küchentisch – wohlig sicher in den klobigen, warmgepolsterten Bootshausstühlen. Die Kerzen flackerten, heiße Schokolade dampfte in unseren Tassen, meine Mutter sang ein Lied, und mein Vater räusperte sich. Hmhm. Begann er.

Es war eine stürmische, wilde Neumondnacht. Ein Vater und seine Tochter fuhren in ihrer Kutsche nach Hause, überland. Sie hätten längst zu Hause sein wollen, aber das Unwetter erschwerte ihr Fortkommen. Da, plötzlich versank ein Rad tief im Morast, und die Achse brach. Zum Glück sahen sie ganz in der Nähe ein Licht. Sie stiegen aus und eilten, so schnell es der unebene Weg erlaubte, diesem Licht entgegen. Schon bald standen sie vor den wuchtigen Mauern eines alten Schlosses. Sie klopften, und nach einiger Zeit schob der Schlossherr selbst die eisernen Riegel beiseite.

„Ihr dürft gerne bei uns übernachten“, sagte der Schlossherr, nachdem sie ihm ihre Geschichte erzählt hatten. „Aber ihr dürft euch nicht fürchten. Denn bei uns SPUKT es……“

Nach einer kleinen Stärkung, Brot, Wein, etwas Käse und Obst, süße Kuchen und Schokolade, nahm der Schlossherr den siebenarmigen Leuchter vom Tisch und sagte: „Es ist Schlafenszeit. Ich führe euch in eure Gemächer. Sie liegen im dritten Stock. Ich hoffe, das ist für euch nicht zu anstrengend.“

Vater und Tochter sagten Gute Nacht. „Verschließ deine Tür“, raunte der Vater der Tochter noch zu. Das tat sie. Und legte sich müde ins Bett. Sie war nicht von ängstlicher Natur, und schon bald fiel sie in einen  tiefen, traumlosen Schlaf.

Plötzlich schreckte sie auf. War hellwach und lauschte. Gänsehaut kroch über ihren Körper. Da. Schritte auf der Treppe. Und dann eine Stimme: „Stomm. Stomm. Stomm. Ich bin jetzt im ersten Stock“….

Wenn wir das Ende der Geschichte schweißgebadet überlebt hatten, machte meine Mutter meinem Vater stets Vorwürfe. Er solle uns nicht so erschrecken. Die eigene Tochter. Und dann auch noch den Kinderbesuch. Was würden die Eltern dazu sagen? Und dann erzählte sie uns ihre Geschichte.

Eine Familie machte Urlaub an der Nordsee. Sie wohnten in einem wunderhübschen kleinen Häuschen direkt am Strand. Lange war wunderschönes Wetter. Aber eines Abends tobte ein furchtbarer Sturm. Das Licht ging aus, und die Familie saß bei Kerzenschein um den einzigen Tisch in dem winzigen Häuschen. Die Wellen rollten und rauschten. Der Sturm rüttelte am Dach. Ungemütlich war das! Plötzlich krachte etwas mit voller Wucht an die Hauswand. Boammmm! Und dann gleich nochmal. Boammmmmm.

…………. Ich halte im Schreiben inne. Lausche. Tatsächlich. Der Regen hat aufgehört. Und unten singt Udo Lindenberg bei Schlag den Rab. Der Fernseher läuft wieder.

Papà, Mammina, hebt euch eure Geschichten für das nächste Gewitter auf! Oder gleich für den nächsten Kinderbesuch.

2 Antworten auf “O’zapft is!”

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