Weihnachtsessen können richtig spannend sein. Eine Balkan-Pizzeria neben einem heruntergekommenen Nobelhotel, in dem heute Gastarbeiter wohnen – nein, keine Asylbewerber, diesmal. Eine Stufe höher, immerhin. Zimmerpalmen und Gummibäume auf den Fensterbrettern, „Aubergine mit Sinkenrollen“ oder „Klbsschnizel“ auf der Speisekarte. Dann doch lieber Pizza! Mein Gegenüber fragt nach meinem Alter und enthält sich gnädig jeden Kommentars. „So alt!“ wäre natürlich genauso daneben gewesen wie „siehst aber jünger aus“ oder „hast dich aber gut erhalten“! Und so können wir ungehindert abdriften in Erzählungen aus der Vergangenheit. Erkennt man Alter daran, dass man nicht mehr über die Kleinkindzeiten der Kinder spricht, sondern sich wieder an sich selbst erinnert?
Ihm haben in der Studentenzeit 200 Mark für einen Monat gereicht. Bei mir waren die 80 Mark für die Woche schon am Dienstag futsch. Danach lebte ich von geklautem. Champagner und Gänseleberpastete. Heute könnte ich das nicht, würde ohnmächtig werden vor Angst, noch bevor ich die Hand nach der Flasche ausstrecken und in die Manteltasche schieben könnte.
„Ich hab nur einmal geklaut“, erzählt er. Einmal und nie wieder. „Ich war in Griechenland unterwegs. Wie immer mit einem Schlafsack, einem Bundeswehr-Umhang und einem Pulli. Ohne Geld. Ich war Hippie, damals. Da lag auf einer Gartenmauer nicht weit vom Strand eine riesige Zucchini. Ich wusste nicht ,was das war. Hatte so’n Ding noch nie gesehen. Ich fand das interessant. Und hab’s mitgenommen. Einfach so, ohne groß drüber nachzudenken.
Später lag ich mit meiner Freundin am Strand. Ein toller Strand, ich hab grad kürzlich im Internet gesehen, dass das heute noch so ein toller Strand ist. Wir lagen also so da. Da legt sich ein junger Grieche in unsere Nähe. Schaut mich an und fragt plötzlich in total perfektem Deutsch: „Warum klaust du?“ Ich war sprachlos. „Warum klaust du meiner Großmutter die Zucchini?“ Er studierte in München, war in den Semesterferien zu Hause. Und hatte die Zucchini erkannt. Das war das erste und das letzte Mal, dass ich was gestohlen habe“.
Ich sitze am Laptop, und vor mir schlagen die Wellen an den griechischen Strand, ich muss immer noch grinsen. Danke für das Weihnachtsessen und den Ausflug in die 1970er Jahre. War wirklich ein bunter Abend.
Und außerdem habe ich heute Abend erfahren, dass die Hippies den PC erfunden haben und das Internet, dass der angebissene Apfel auf meinem Laptop, IPad und IPhone die erweiterte Bewusstseinsstufe der Beatles ist und dass Globalisierung ihren Ursprung im Tribe-Gedanken der Hippie-Generation hat. Ich bin definitiv zu spät geboren!