Heute kein Krimi! Stattdessen meine Weihnachtsgeschichte vom Grant. Meine Freunde der IsarChillies und auf Facebook kennen sie bereits – allen wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen spannenden Heiligen Abend! Und bitte nicht vergessen: Jesus is the reason for the season!
Viola und der Grant
Viola ist elf Jahre alt und lebt mit ihren Eltern in einer Stadt irgendwo in Europa. Normalerweise wartet sie wie alle anderen Kinder voller Spannung auf den Heiligen Abend. Aber in diesem Jahr ist alles ganz anders. Und sie wird die Erlebnisse dieses Nachmittags nie wieder vergessen.
Viola hockt auf der Fensterbank und schaut hinaus in den Heiligen Abend. Sie langweilt sich. „Still, still, still, weil‘s Kindlein schlafen will“ haben sie heute bei der Chorprobe gesungen. Sie ist kein Kindlein mehr und will auch nicht schlafen. Und still ist dieser Abend ganz und gar nicht. Heilig hin oder her. Im Flur rumpelt und scheppert es. „Pass doch auf, Marc!“ ruft die Mutter. „Steh doch nicht immer im Weg“, schimpft der Vater. Still ist anders, denkt Viola. Dunkelheit streift wie der Saum eines festlichen Kleides über den Nachmittag. Mit funkelnden Diamanten besetzt schreitet sie durch die Straßen und trinkt die Wintersonne von den Fenstern und Dächern. Taucht sie in Himbeerglut und streut dann übers Abendschwarz auf den Plätzen und Gassen die Lichter von Sternen und Kerzen.
Wie hat sie diesem Abend entgegengefiebert. Eigentlich geht es ihr nicht einmal um die erhofften Geschenke. Der Heilige Abend hatte für sie schon immer einen ganz eigenen Zauber. So, als läge Magie in der Luft und als wäre die Tür zur Welt aller Wünsche sperrangelweit offen, und jeder Traum könnte wahr werden. Einfach so. Das Flüstern der Eltern, der Tannenduft, als stünde die Wohnung nicht in der Maria-Theresia-Straße sondern mitten im Wald. Das verschlossene Weihnachtszimmer, die vielen Küchengerüche nach Braten, Orangen, Zwiebeln, Vanille und Zimt. Die Glocken, die vom Dom herüber riefen. Ja, eigentlich liebt Viola den Heiligen Abend.
Aber diesmal ist alles anders. Den ganzen Tag über waren die Leute, denen Viola begegnet ist, ausnehmend schlecht gelaunt. Angefangen bei der Hausmeisterin, die den frisch gefallenen Schnee, der den schmutziggrauen Bürgersteig herrlich weiß herausgeputzt hatte, energisch und mit zusammen gekniffenen Lippen wegschaufelte. Der Trambahnschaffner ranzte alle Fahrgäste an, wollte kein Wechselgeld ausgeben oder befahl, mehr Abstand von den Türen zu halten, was bei der vollbesetzten Tram gar nicht möglich war. Viola überstand die Fahrt bis zur Chorprobe für die Christmette eingeklemmt zwischen einem Dauertelefonierer, der seinen Freund beschimpfte, weil er lieber mit der Familie essen als auf die X-Mas-Party im Jugendkeller wollte, und einer kräftigen Blondine, die sich ständig bückte, um eins der zehn Päckchen aufzuheben, die sie unters Doppelkinn geklemmt hatte und das ihr von dort immer wieder auf den nassen Trambahnboden fiel.
Auch die Chorleiterin war äußert schlecht drauf. „Ihr singt alle falsch“, schrie sie, und: „Ich gehe, ihr könnt euch heute Abend alleine blamieren.“ Natürlich würde sie das nicht wahr machen, sondern pünktlich um halb zehn zum Einsingen in der Kirche stehen, doch die Stimmung war und blieb getrübt.
„Was ist das nur, warum sind alle so mies gelaunt?“ fragt sich Viola auf ihrer Fensterbank. Sogar ihre Eltern machen da keine Ausnahme. „Lauf uns nicht ständig zwischen den Füßen herum“, hat ihr Vater sie angefahren. Und: „Warum gehst du nicht in dein Zimmer und schläfst ne Runde, oder schaust ne DVD. Oder irgendwas.“, hat die Mutter nicht eben freundlich vorgeschlagen. Früher haben die Eltern am Nachmittag vor dem Heiligen Abend noch mit ihr im Kinderzimmer gesessen und „Madita, es schneit“ gelesen. Obwohl sie schon längst selbst lesen konnte, hat sie diese gemeinsame Viertelstunde immer sehr genossen.
„Was haben die nur alle?“ fragt sich Viola und legt sich auf ihr Bett, die Hände hinterm Kopf verschränkt. „Aua“, ruft sie unvermittelt. Denn etwas hat sie ins Ohr gebissen. Und dann hört sie auch schon eine fremde Stimme, wispernd und irgendwie rau. „Was die alle haben? Das gleiche, was du jetzt auch hast. MICH. Den Grant.“ „He, spinn ich? Wer spricht denn da? Ich seh‘ niemanden.“ „Natürlich nicht, kein Mensch kann mich sehen.“ „Ok. Du sagst, du bist der Grant. Und was machst du hier? Und warum versaust du uns die Weihnachtsstimmung?“ „Was heißt hier Weihnachtsstimmung! Nur, weil ihr die Vorstellung habt, zu Weihnachten müssten alle Leute einen Heiligenschein aufsetzen und lieb zueinander sein, muss das ja nicht für alle Welt gelten. Besser gesagt, für alle Welten. In unserer Welt sieht das nämlich zufällig ganz anders aus.“ „In eurer Welt? Wo kommst du denn her?“ fragt Viola. Auch, wenn es zugegebenermaßen komisch ist, sich mit einer unsichtbaren Stimme zu unterhalten, die ihr direkt ins Ohr zischelt, fängt die Sache an, ihr Spaß zu machen. Jedenfalls ist ihr jetzt nicht mehr langweilig.
„Na hör mal, das weißt du ganz genau. Du glaubst doch selbst an die Magie des Heiligen Abend und daran, dass heute die Türen zu anderen Welten offen stehen. Zur Welt der Wünsche, zum Beispiel. Und auch zu meiner.“ „Und wie heißt deine Welt?“ will Viola wissen. „Unfried. Meine Welt heißt Unfried. Unsere Hauptstadt ist Grantheim. Sie heißt nach meinem Urgroßvater, Hieronymus Grant.“ „Aha. Aber – warum bist du nicht daheim, heute, am Heiligen Abend? Wenn ihr den überhaupt feiert….“ „Na klar feiern wir den“, sagt der Grant erregt. „Das ist es ja gerade!“ „Hähh? Versteh ich nicht!“ „Hach, dass ihr Menschen immer so schwer von Begriff sein müsst! Also, noch mal zum Mitschreiben: Auch bei uns gibt es Weihnachten. Auch wir machen Geschenke. Und unser Geschenk besteht darin, möglichst viel Unfrieden zu stiften. Wer nachweisen kann, dass er den allerallermeisten Unfrieden überhaupt angestiftet hat, der wird für ein Jahr zum Obergrantminister von Granthausen ernannt. Kapiert?“ „Oh, das ist ja schrecklich! Ihr Ärmsten. Das ganze Jahr hindurch müsst ihr euch ärgern, und dann, am Heiligen Abend, kommt noch das ganz dicke Ende hinterher. Wie furchtbar!“ „Was? Nix furchtbar, wunderprachtvollmärchenschauderhaft!“ schreit der Grant so laut, dass Viola meint, ihr Trommelfell muss gleich platzen.
„Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du dann hier bist und nicht bei dir daheim. Und da Unruhe stiftest, statt uns hier den Weihnachtsfrieden zu zerstören.“ „Weil. Weil. Weil….“ plötzlich scheinen dem so gesprächigen Grant die Worte zu fehlen. „Ja, weil? Ich höre“, sagt Viola und klingt so wie ihre Mutter, wenn sie eine Beichte aus ihrer Tochter herausbekommen will. Zum Beispiel, dass sie die Unterschrift unter der Mathe-Fünf gefälscht hat oder nur zehn Minuten mit dem Hund draußen war statt einer Stunde.
„Also – das ist so. Als Urenkel des großen Grant’ muss ich natürlich etwas ganz besonderes anstellen. Also nicht bloß auf ganz Unfried die Schnürsenkel verknoten oder die kandierten Äpfel komplett mit kandierten Zwiebeln austauschen.“ „Igitt“, Viola liebt die kandierten Äpfel auf dem Weihnachtsmarkt und stellt sich vor, wie sie herzhaft in eine Zwiebel beißt und ihr die Tränen kommen. Das würde auch bei ihr garantiert großen Unfrieden auslösen. „Es genügt auch nicht, einfach alle Telefone abzuhören und Emails zu lesen und dann zu veröffentlichen.“ „Oh, das gibt in unserer Welt aber mega Probleme,“ weiß Viola aus den Nachrichten der letzten Wochen und den Gesprächen der Eltern.
„Bei uns reicht das höchstens für eine Auszeichnung als Grant dritten Grades“, seufzt der Grant. „Und weil mir nicht mal so etwas eingefallen ist, hat mein Vater gesagt: „Grant, du gehst jetzt rüber in die Welt der Menschen, die Türen stehen heute bis Mitternacht offen. Und da stiftest du soviel Unfrieden wie möglich. Dann kommst du hierher und berichtest. Das hat noch keiner gemacht, dann können wir alle wieder stolz auf dich sein.“
Jetzt hat Viola plötzlich Mitleid mit dem armen Grant. So weit weg von daheim – und in so einer schwierigen Mission. „Weißt du was?“ fragt sie ihn. „Nein.“ „Ich werde dir helfen. Ich komme jetzt gleich mit dir nach Grantheim, als Zeugin für deine Untaten. Wir können gerne auch noch jede Menge dazu erfinden. Dann stehst du gut da – und wir haben Ruhe vor dir. Was meinst du dazu? Allerdings müssen wir gleich aufbrechen, denn ich will unbedingt zur Bescherung zurück sein, und danach muss ich mit meinem Chor in der Christmette singen.“
„Hach, der Chor. Die Chorleiterin kommt sicher nicht, der habe ich doch den Abend schon gründlich vermiest“, sagt der Grant. „Ach was, die kriegt sich schon wieder ein. Also, nimmst du meinen Vorschlag an?“ „Hmmm….“ der Grant überlegt. „ Ich wäre der erste, der einen leibhaftigen Menschen vorzeigen kann. Und wenn du dann noch etwas dick aufträgst, was meine Mission betrifft… könnte das klappen.“
„Also abgemacht. Aber halt: wie komme ich denn in deine Welt? Ich seh’ dich ja nicht mal. Und: wie weit ist das überhaupt?“ „Gar nicht weit. Und kein Problem. Warte……“ Plötzlich hört Viola ein Rauschen im Ohr, ein Dröhnen wie von einem startenden Düsenflugzeug. Das Zimmer beginnt sich um sie herum zu drehen. Ihr wird schwindelig, und sie muss die Augen zumachen. Als das Drehen aufhört und sie die Augen wieder öffnet, steht sie in einem Wald aus hellblauen Bäumen. Es ist Nacht, und statt Sternen funkeln am Himmel tausend Kerzen. Sie schweben einfach so in der Luft, und dazwischen schwimmen hellrosa Wolken. „Schön!“, ruft Viola. „Ja, schon“, sagt der Grant neben ihr. Und jetzt kann sie ihn sehen. Er ist vielleicht so alt wie sie, hat goldene Haare und eine tief violette Haut. Er schaut sie mit einem stechend grünen Blick von oben bis unten an, und wenn er spricht, riecht die Luft nach Pfefferminze. „Hübsch bist du“, sagt er. „Soll ich dir noch schnell eine fette Warze auf die Nase wünschen? Das würde deine Glaubhaftigkeit sicher sehr steigern“. „Untersteh dich!“ ruft Viola, aber dann fängt sie an zu lachen. Unglaublich, aber wahr. Sie mag den Grant. „Na gut, mach nur“, sagt sie und fasst sich an die Nase. Tatsächlich, da thront eine riesige Warze. Na wenn schon. „Los, wir müssen uns beeilen, gleich beginnt das Fest.“
Der Grant nimmt Viola an der Hand, und sie gehen eine Straße aus orangefarbigem Kopfsteinpflaster entlang bis zu den Toren einer riesigen Stadt. Sie steht auf einem großen Hügel und ist ganz aus schwarzen Steinen gebaut. In jedem der unzähligen runden Fenster leuchtet ein kobaltblaues Licht. „Achtung!“ sagt der Grant. „Wir haben keine Zeit, um den normalen Weg zu gehen.“ Er drückt ihre Hand und wieder dreht sich alles, und dann stehen die beiden mitten in einem großen goldenen Saal. Boden, Wände, Decke, alles ist aus purem Gold. Oder es sieht zumindest so aus. Der Saal ist voller Grants mit den unterschiedlichsten Haut- und Haarfarben. Die einzige Gemeinsamkeit sind die apfelgrünen Augen. Ehrerbietig machen sie den Kindern Platz. Dabei tuscheln sie in einer Sprache, die nur aus Zischlauten zu bestehen scheint, und die Viola nicht versteht.
Vor dem Thron des Obergrants bleiben die beiden stehen. „Nun, mein Sohn, du bist zurück. Und was hast du da mitgebracht?“ Der Grant übersetzt Viola die Worte seines Vaters. Dann fängt er an, zu berichten. Lange und lebhaft. Immer wieder deutet er auf Viola, und sie nickt dann zustimmend, ohne zu wissen, worum es geht. Sie will ihm ja helfen. Schließlich hält er erschöpft inne. „Und das ist alles?“ donnert der Obergrant – und plötzlich kann Viola ihn verstehen. „Du hast ein paar Leuten den Heiligen Abend versaut? Na und? Das REICHT NICHT!“ Die versammelte Menge murrt, einige heben drohend die Arme. „Ruhe!“ brüllt der Obergrant. Er überlegt einen Augenblick, dann sagt er: „Mein Sohn ist noch jung und unerfahren in der Kunst des…. Berichtens. Er will das Geheimnis seines Erfolges bis zuletzt aufheben. ICH werde es jetzt für dich lüften, mein Sohn. Und ich bin sicher, damit hast du den größten Unfrieden auf Erden gestiftet.“ Alle starren den Obergrant an, auch sein Sohn und Viola.
„Als erster Grant überhaupt hast du ein Menschenkind entführt. Es wird jetzt hier bei uns bleiben als unsere Sklavin und Spionin. Es wird uns alles über seine Welt berichten, und mit diesem Wissen werden wir die ganze Erde erobern.“ „NEIN!“ schreit Viola. „Das dürft ihr nicht tun. Lasst mich gehen. Sofort. Ich will nach Hause!“
„Ergreift sie“, befiehlt der Obergrant den Wachen, die um den Thron stehen. „Nein!“ ruft da auch der Grant. Er umklammert ganz fest Violas Hand. Im Nu dreht sich der ganze goldene Saal um seine eigene Achse. Dem Mädchen wird schwarz vor Augen.
„Viola, sag mal, willst du heute gar keine Bescherung?“ Die Mutter sitzt am Bettrand und streicht ihrer Tochter über die Stirn. „Du bist ja ganz heiß, Kind. Hast du was Aufregendes geträumt?“
„Ich, was, wo bin ich?“ Viola braucht ein paar Sekunden, um sich in ihrem Zimmer zurechtzufinden. „Hab ich das alles etwa geträumt?“ fragt sie sich. Sie ist erleichtert und gleichzeitig ein wenig enttäuscht. Eigentlich war der Grant ja ganz nett. Und hübsch.
Da klingelt im Wohnzimmer das Weihnachtsglöckchen, und Viola geht mir ihrer Mutter hinein. Der Baum ist mit goldenen Kugeln und Kerzen geschmückt, und der Raum sieht ein bisschen so aus wie der Saal in Grantheim, findet Viola. Die Großeltern sind da, Onkel und Tante. Der Hund kaut schon an seinem Knochen. „Frohe Weihnachten“, sagen sich alle. Und dann packt Viola ihre Geschenke aus.
„Was der Grant wohl jetzt macht?“ fragt sie sich. Dann schaut sie sich noch einmal alle Geschenke an. Der Hobbit als DVD, ein paar Ohrringe, neue Winterstiefel, drei Vampirbücher. „Was ist denn, mein Schatz, bist du mit dem Weihnachtsmann nicht ganz zufrieden?“ fragt der Vater. „Na jaaaa, also, eigentlich….. warum habe ich keinen Laptop bekommen, den hatte ich mir doch ganz besonders gewünscht!“ Und während sie das sagt, spürt sie, wie es in ihrem Ohr leise flüstert. Sie lächelt. „Schon ok, vielen Dank für alles! Und nehmt’s mir nicht übel, das eben war nur der Grant“.