Adventskalender MiniKrimi vom 3. Dezember 2015


quecksilber

(Bildquelle netdoktor.de)

Das Bohrloch

„So, gleich geschafft. Sie waren wirklich tapfer, Jeanette. Wollen Sie nochmal ausspülen, bevor ich die Füllung einsetze?“

Jeanette Mohr-Eininger nickt. Diese Zahnärztin ist wirklich fantastisch. Wenn sie, die notorische Angstpatientin, Frau Bähr schon vor zehn Jahren gekannt hätte, dann hätte sie jetzt nicht lauter Ruinen im Mund. Sie wirft Frau Bähr einen dankbaren Blick zu und hebt die rechte Hand von der Armlehne. Frau Bähr lächelt von oben auf sie herab. Ein tiefgründiges Lächeln, strahlend weiß.

„Danke“ flüstert Jeanette, die Worte verzerrt durch die Wirkung der Anästhesie. Eigentlich wollte sie gar keine Spritze. Aber Dr. Bähr hatte ihr keine Wahl gelassen. „Sonst behandle ich Sie nicht. Ich brauche meine Finger, und wenn Sie reinbeißen, bin ich arbeitsunfähig“.

Während die Zahnärztin mit ihren Geräten hantiert, redet sie mit Jeanette. Das tut ihr gut und nimmt ihr die Angst. Auch, wenn sie sich über die Neugier von Frau Dr. Bähr wundert. „Wie lange kennen Sie Ihren Mann denn schon?“, und „So ein Überlebenstraining in den Alpen ist sicher sehr romantisch, da kommt man sich schnell näher. Oder mögen Sie lieber Komfort?“ Woher weiß sie, wie Marc und ich uns kennengelernt haben?, fragt sich Jeanette. Aber dann zuckt sie die Schultern, ist doch egal. Ihre Gedanken schweben auf weichen Wattewolken, alles andere ist unwichtig.

„Mund auflassen, bitte! Perfekt. Die Füllung behalten Sie bis an Ihr Lebensende. Nochmal ausspülen, wir sind fertig.“ „Jeanette setzt sich auf, ihr ist schwindelig, und sie sieht die Ärztin wie durch einen Schleier. Lange schwarze Haare, große graue Augen. Mit dunklen Schatten darunter. Und tiefe Falten rundherum. Sorgenfalten. „Und Sie? Sind Sie eigentlich verheiratet?“ Jeanette hat das Gefühl, dass sie jetzt auch etwas fragen darf. „Ich bin geschieden. Mein Mann hat mich vor drei Jahren wegen einer jüngeren verlassen. Blond und dumm, aber dürr. Männer sind alle gleich. Sie wissen schon.“

Unbewusst schaut Jeanette an ihrem  knabenhaften Körper herab. Sind Männer alle gleich? Marc sagt ihr immer, wie aufregend er ihn findet. „Nicht so wie Alexandra mit ihrem Vorbau und dem gebärfreudigen Becken“. Frau Dr. Bähr ist nicht dick. Für ihr Alter hat sie eine gute Figur. Zu kurvenreich für Marcs Geschmack, wahrscheinlich. Sie ist wahrscheinlich sogar genauso alt wie er. „Wie heißt denn Ihr Mann?“ Jeanette zuckt zusammen, als sie ihre eigene Stimme hört.

„Eininger“, antwortet Dr. Bähr und hält ihrer Patientin die Tür auf. „Die Welt ist klein. Sagen Sie Marc, dass es mir wieder gut geht, inzwischen. Sehr gut, sogar! Adieu.“

Jeanette ist erstaunt, dass Marc auf ihren Bericht nur mit einem Lachen reagiert. Er wirkt erleichtert.

Die Ärzte werden keine Erklärung für Jeanettes Kopfschmerzen, ihre Müdigkeit und Entzündungen haben. Wenn sich ihre Persönlichkeit verändern wird, sie erst ängstlich wird und dann aggressiv, wird Marc sie in ein Pflegeheim einweisen lassen. Die Obduktion wird eine Quecksilbervergiftung ergeben, deren Ursache nicht zu finden sein wird.

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