Adventskalender MiniKrimi vom 17. Dezember


Ware Liebe

Wahnsinn, denkt Johnny. Wahnsinn Wahnsinn Wahnsinn! Er hatte sich ja gedacht, dass man rund um das Fest der Liebe genau damit Geld machen kann. Mit Liebe. Weil jeder sie haben will und in einer Zeit und einem Land, in dem man alles kaufen oder bestellen kann, die Liebe zu einem der vielen Weihnachtsangebote mutiert. Aber dass seine Geschäftsidee gleich so reinhauen würde, nein, dass hätte sich Johnny nicht mal in seinen kühnsten Träumen vorstellen können.

Deshalb hat er die Leute heute schon um elf nach Hause geschickt statt wie üblich um Mitternacht. Jetzt sitzt er an seinem Schreibtisch, vor sich das millionste Paket. Das Büro ist improvisiert, wie die ganze gemietete Fabrikhalle. Ein Abbruchhaus, und genau deshalb erschwinglich. Nach Weihnachten wird er umziehen. Verwaltungsräume in einem verglasten Hochhaus und das Lager verkehrsgünstig direkt an der Autobahn.  Und alles dank seiner genialen Geschäftsidee. Er klebt die Verpackung fast andächtig zu, und  obendrauf fixiert er einen großen, goldene. Aufkleber: Wahre Liebe. Nur echt mitten goldenen Pfeil. Garantierte Wirkung. Mit Geldzurückgarantie.

Insgeheim glaubt Johnny, dass das Geheimnis seines Erfolges genau in diesem Satz begründet liegt. Was eine Geldzurückgarantie hat, das wirkt. Angefangen hat Johnny mit Tee. Eine ganz einfacher Kräutermischung, nicht mal biologisch. Aromatisiert mit etwas Zimt, für das Weihnachtsfeeling, und Roibusch. Auf der Unterseite der Packung, ein paar Schriftpunkte kleiner als die Inhaltsstoffe, steht: belebende Wirkung. Und darauf bezieht sich die Garantie. Schließlich ist Johnny kein Betrüger.

Er geht zum Kühlschrank und holt eine Flasche Champagner. Das millionste Paket will er feiern. Mit sich allein. Er genießt die Stille. Die Dunkelheit. Den Kontrast zwischen der bienenstocksummenden Geschäftigkeit des Verpackens und der nächtlichen Ruhe. Irgendwo knarrt eine Tür, ein Luftzug fährt durch die Halle. Sonst nichts.

Nachdem der Tee so erfolgreich war, hat Johnny Schaumbadkugeln ins Programm genommen. Schokolade. Und Kondome. Inzwischen hat er einen richtigen Katalog mit Wahre-Liebe-Produkte.

An der Wand hinter ihm hängen Briefe von zufriedenen Kunden. Die meisten erzählen witzige Geschichten, in denen seine Produkte eine Brücke werden, ein Hilfsmittel, um das immer gleiche  Ziel zu erreichen: die Liebe eines anderen Menschen. Natürlich regen sich auch ein paar Leute auf. Er ist auch schon mal angezeigt worden, wegen Betrugs. Das Verfahren wurde niedergeschlagen. Ihm war keine Schuld nachzuweisen. Der Mann hat ihn später noch bedroht. Er habe sein Versprechen nicht gehalten, wahre Liebe zu verkaufen. Ich krieg dich, das verspreche ich dir.

Das ist schon zwei Wochen her. Johnny ist sicher, dass der Mann Seuche weggekommen ist. Was für ein Psycho, wie kann er glauben, dass wahre Liebe käuflich ist?

Die Tür zum Lager bewegt sich. Geräuschlos kommt ein Mann in Johnnys Büro. „Du versprichst wahre Liebe, aber was du verkaufst, ist nur schlechte Ware. Im Gegensatz zu dir halt ich mein Versprechen“, sagt der hagere Mann und krallt seinen Blick in Johnnys Gesicht. Dann drückt er ab.

 

 

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