Adventskalender MiniKrimi vom 18. Dezember


Nicht alle sind so.

Freitag Morgen in einem Lebensmittel-Discounter. Ahmed schlendert langsam durch die Reihen voller Pappkartons mit Ware. Es ist nicht wahr, dass er nicht weiß, was für ein Laden das hier ist. Er weiß genau, es gibt auch andere. Mit großen Körben voll exotischer Früchte, mit stimmungsvoller Musik und gedämpftem Licht, das den Wein in den Flaschen schimmern lässt, durch das Glas hindurch. Mit duftenden Wurstsorten – auch, wenn er die als Moslem nicht essen soll, wie seine Mutter ihm immer wieder einschärft, sie riechen verführerisch. Und dann das Kaffeeregal! Man fühlt sich wie in einem Bazar. Die Leute hetzen nicht durch die Gänge wie hier im Discounter, sie schreiten von Abteilung zu Abteilung und planen ihren Genuss.

Nicht, dass Ahmed sich das in genau diesen Worten ausmalt. Er geht in die neunte Klasse einer Mittelschule, zum zweiten Mal schon, aber ímmer noch ziemlich erfolglos. Am Ende des Schuljahres wird er auf der Straße stehen. Ohne Schulabschluss und ohne Ausbildungsplatz. Vinzenz Murr nimmt auch Leute ohne Abschluss, hat der Vater ihm gestern erst gesagt. Oder Onkel Ali – genau, wegen dem ist Ahmed so dermaßen gehänselt worden, wegem dem dummen Lied „Junge“. Weil Onkel Ali hat tatsächlich einen Gemüseladen. Ich werd bestimmt kein Metzger, ey, und Gemüse verkauf ich auch nicht, kapiert? Überhaupt, was is das hier fürn Scheißland voller Vorurteile? Guck mal da drüben, das is bestimmt ein Ladendetektiv. Wetten, dass der mich filzen will, wenn ich rausgehe? Ohne Grund einfach so? Vollidiot, Lan.

Ahmed geht am Getränkeregal entlang. Ein Liter Cola und eine Flasche Wodka. Das wär’s. Scheiß auf die Schule. Heute hat er keinen Bock, aber absolut, nee, wirklich nicht.

Ey Alter, was isn das für einer? Hat der sich hier verlaufen oder was?

Der Mann, der wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht ist und jetzt angelegentlich die „Champagner“-Flaschen betrachtet, passt auf den ersten Blick nicht das Discounter-Ambiente. Er trägt einen dunkelgrauen Nadelstreifenanzug, komplett mit Weste und Einstecktuch. Dazu schwarze Socken und Schuhe, die aussehen wie handgenäht, auf dem Arm einen beigen Trenchcoat. Die Haare sind graublond und das einzige, was nicht ins Bild passt, an ihm. So von hinten. Sie sind dünn, zu lang und ölig.

Wallah, was macht der hier? fragt sich Ahmed nochmal. Neugierig geht er dem Mann hinterher. Der schaut sich diverse Flaschen an, nimmt sie aus dem Regal und stellt sie wieder zurück. Jetzt steht er vor dem Schinken im Kühlregal. „Mensch Olli was willst du? Ich kann gerade nicht, ich muss jemand beschatten“, sagt Ahmed ins Smartphone. Als er aufschaut, ist der Mann um die Ecke gebogen und befingert das Brot. Ohne Handschuh. „Lan, wie eklig“, denkt Ahmed. Greift sich eine Cola und überholt den Mann auf dem Weg zur Kasse.

„Hallo, einen Moment bitte. Darf ich mal sehen, was Sie da in der Tasche haben?“ „Lan, ey, hab ich gewusst. Bist du Rassist oder  was?“ Aber der Discounter-Detektiv beachtet Ahmed gar nicht. Breitbeinig hat er sich vom dem Mann im Nadelstreifenanzug aufgebaut. Als dieser wortlos an ihm vorbeigehen will, reißt er ihm den Trenchcout vom Arm. In der jetzt nicht mehr versteckten Hand hält der Mann eine Flasche Champagner, und in die Armbeuge geklemmt ein Brot. „Das Brot ist von gestern“, sagt der Mann, ohne sich um einen semantischen Zusammenhang zu bemühen.

„Das gibt jetzt ne Strafanzeige. Kommen Sie mal mit ins Büro, ich rufe derweil die Polizei“. Der Detektiv zückt sein Telefon.

Was dann passiert, kapiert Ahmed selber nicht. Er steht quasi neben sich und schaut sich zu, während er den Fünfzig- Euro-Schein, den er nach der Schule zu Onkel Ali bringen soll, rausholt, zu dem Mann geht, sagt: „Papa ey, du sollst doch nich immer weglaufen. Komm, gib mir das mal zum Bezahlen. Du weißt doch, Mama gibt nur mir Geld.“ Und dann, zum Detektiv und in die ganze Ladenrunde: „Mein Papa is dämlich, also dem…dement. Sorry, hab nur kurz mit nem Kumpel telefoniert, da is er mir abgehauen.“

Der Detektiv ist so verblüfft, dass er den Mann losläst. Die Kassierin tippt Champagner und Brot ein, Ahmed zahlt und schiebt den Mann vor sich auf die Straße. Da stehen sie. Ahmed starrt in das ungesund blasse Gesicht mit den tiefen Augenringen und den geplatzen Äderchen auf Nase und Wangen. Auf den zerrissenen Hosensaum und den Riss im Schuh. Der Mann starrt zu Boden.

„Ts – was n Scheißland, was Scheißtypen“, sagt Ahmed und geht. „Nicht alle“, sagt der Mann und geht in die andere Richtung.

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