Adventskalender MiniKrimi vom 1. Dezember 2018


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Ein MordsHaus: Bittermandel-Plätzchen

Die Anonymität in der Großstadt ist relativ. Es mag Häuser geben, in denen ein Nachbar wochenlang unbemerkt tot in der Wohnung liegt und von niemandem vermisst wird. In der Minervastraße 89a wäre so etwas undenkbar. Hier kennt jeder jeden. Bzw. vor allem die Frauen kennen sich. „Anita aus dem dritten Stock hatte gestern einen Neuen zu Besuch.“ „Was heißt hatte – der war heute Morgen immer noch da!“ „Claudia hat ja so zugenommen! Ist die schon wieder schwanger?“ „Nee, seit ihr Mann arbeitslos ist, ist er für*s Kochen verantwortlich. Das setzt an.“ Und so weiter. 

Jemima war auf dieses nachbarschaftliche Miteinander nicht vorbereitet. Nach einem nervenaufreibenden Scheidungskrieg hatte sie in der exklusiven Hochhaussiedlung Minervastraße vor allem eines gesucht: Ruhe und – ja, die Anonymität eines Großstadthauses. 

Stattdessen wurde sie beim Einzug von einer Delegation der Hausbewohnerinnen begrüßt. Jemima balancierte eine Pyramide von Kartons und Schachteln, über die sie kaum hinwegschauen konnte, Richtung Eingangstür. Elvira kreuzte ihren Weg, beladen mit einem kunstvoll mit Schokoglasur verzierten Marmorkuchen. Der Zusammenprall war unvermeidlich. Noch Tage später war der Weg gepflastert mit schokoladenüberzogenen Muschelsplittern. Jemima hat den Nachbarinnen die Zerstörung ihrer Muschelsammlung nie verziehen. Und Elvira ihrerseits machte Jemima nicht nur für die Missachtung nachbarschaftlicher Freundlichkeit im allgemeinen und weiblicher Solidarität im besonderen verantwortlich, sondern auch für die nachhaltige braune Verfärbung ihrer Seidenbluse. 

Das Verhältnis zwischen Jemima und den Bewohnerinnen der Minervastr. 89a  war gespannt. Aber als der November sich seinem Ende zu neigte und die Adventszeit mit den ersten Lichterketten auf Balkonen und Fensterbänken Einzug hielt, stimmte die Erwartung auf milde Weihnachtslaune auch die Frauen gnädig. Und so beschlossen sie bei einem spontanen Treffen im hauseigenen Fitnessraum, Jemima noch eine Chance zu geben, Teil ihrer eingeschworenen Schwesternschaft zu werden. 

Jemima wunderte sich über die Einladung zum gemeinsamen Plätzchenbacken, die in Form eines kunstvoll verzierten Muffins eines Abends auf ihrer Türmatte lag – komplett mit allen Daten auf einem rosaroten Fähnchen. Prima, dachte sie. Und brachte zum vereinbarten Treffen ihre Allerlieblingsplätzchen mit. „Jemimas Amarettini.“ Ein todsicheres Rezept. Elvira, die Vorkosterin, war zwar der Meinung, dass das Bittermandelaroma zu dominant sei. Leider konnte sie die verbesserte Rezeptur nicht mehr genießen. Ihre einzigen Hinterbliebenen, das Katzenpärchen Miez und Mauz, fühlten sich schon bald bei Jemima heimisch. 

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