AdventsKalender MiniKrimi vom 5. Dezember 2016


Morgen, Kinder, wird’s was geben….

Im Zuge der Rationalisierung hat die Post ihre Annahmestellen ausgelagert. In Supermärkte oder Tankstellen, zum Beispiel. Das Personal dort ist vielleicht nicht so geschult wie die Postbeamten hinter den gelben Schaltern, aber dafür in der Regel freundlicher. Die junge Frau, die am späten Nachmittag die Postfiliale in der Allguth-Tankstelle betritt, ist sichtlich überfordert, verschwitzt und ungekämmt. Sie schaut sich suchend um, dabei schiebt sie die dichten Haarsträhnen zur Seite, die ihr immer wieder ins Gesicht fallen. Vor ihr stehen zwei Männer und eine Frau in der Schlange. Wollen Pakete von Amazon und Zalando zurückgeben. Sie könnte schreien vor Glück. Hilflos zuckt sie die Achseln und reiht sich ein. Da taucht neben dem Mitarbeiter, der für die Nachmittagsschicht am Schalter abgestellt worden ist, eine Blondine auf. Mittelblond, mittelalt und nur mittelgut geübt im Posthandwerk, soll sie ganz offensichtlich eingearbeitet werden. Die junge Frau strahlt sie aus unschuldig blauen Augen an. „Entschuldigung, können Sie mir vielleicht helfen, einen passenden Karton hierfür zu finden? Sonst halte ich den ganzen Betrieb auf, wenn ich dran bin….“. Und sie hält etwas in die Höhe, was aussieht wie ein sehr grober, überdimensionierter Strumpf. „Mein Sohn ist im Schullandheim, wissen Sie. Aber er wartet ganz bestimmt auf seinen Nikolaus.“ Die Blonde lächelt, sie hat vielleicht auch ein Kind. Schließlich finden sie einen geeigneten Karton. „Ist zwar für Flaschen, aber wenn wir den Strumpf etwas anpassen….“ „Ich mach schon“, sagt die junge Mutter. „Sind ja nur weiche Sache drin, außer dem Apfel.“ Sie drückt und quetscht, und in der Tat lässt sich der Inhalt gut genug verformen, um in die Verpackung zu passen. „Nur ein paar Tüten mit Mandeln“. Am Ende bleibt der Apfel draußen.

Schließlich ist alles verpackt, die Adresse des Schullandheims ist ein Briefkasten an einer oberbayerischen Straßenkreuzung. Die junge Mutter zerfließt fast vor Dankbarkeit. „Hier, nehmen Sie doch den Apfel“, sagt sie. Die Blonde freut sich über ihre gute Tat. Sie hat eine Mutter glücklich gemacht.

Und ihren Partner, der das reine Kokain am Nikolausmorgen aus dem Briefkasten an der oberbayerischen Straßenkreuzung fischt.  Spurlos verschwunden aus der Asservatenkammer am Münchner Flughafen. „Morgen, Kinder, wird’s was geben“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

AdventsKalender-MiniKrimi vom 1. Dezember


05-huegelbeet-bauen-huegel-mit-erde-bedecken

Der wahre Tatort

Der Sonntagabend ist mir heilig. Tatortzeit. Vorher noch schnell die Rolläden runterlassen, schließlich ist es draußen bitterkalt. Und stockdunkel. Plötzlich wird der Garten nebenan in gleißend helles Scheinwerferlicht getaucht. Eine Gestalt macht sich am Tomatenbeet zu schaffen. Ich gehe näher ans Fenster. Schaue hinab. Es ist der Neue aus der WG. Mit einem großen Spaten schlägt er die gefrorene Erde auf. Schon türmt sich ein großer Haufen neben dem Beet. Sieht aus wie ein Grabhügel. Sauberes Bürschchen, denke ich. Erst erwische ich ihn, wie er sich an meinem Streusalzeimer in der Garage zu schaffen macht. Ganz offensichtlich will er mein Streusalz klauen will. Dann macht er ein Riesentheater, als ich das Säckchen wieder in meinen Salzeimer ausleere.

Und jetzt das! Wahrscheinlich hat er seinen Mitbewohner umgebracht. Nicht nur ein Dieb, sogar ein Killer! Ha, der glaubt, hinter den meterhohen Hecken sieht keiner, was er treibt. Außer mir. Ich werde ihn stellen. Mit dem Fotoapparat in der Hand schleiche ich aus dem Haus um die Garage.

„Herr Nachbar, ich hab’s gewusst. Ihre Neugier bringt sie nochmal um. Eigentlich schade um die Ladung „Salz“.“ Ich höre seine Stimme, ich spüre einen Stich. Dann explodiert die Nacht, und ich stolpere in mein frisch ausgehobenes Grab.

Advent, Advent….. die Hütte brennt!


…..so scheint es zumindest, wenn ich den kurzen Weg vom Supermarkt nach Hause fahre (ja, mit dem Auto, weil Hundefutter, Joghurtgläser, Saft- und Milchflaschen – mein Sohn hat mir quasi per Ferngewissen verboten, Milch und Saft im Tetrapak und Joghurt im Plastikbecher zu kaufen, aber ob er bedacht hat, welche Mehrbelastung die Autofahrt gegenüber einer Fahrradstrecke bedeutet, entzieht sich meiner Kenntnis). Allüberall auf den Häuserspitzen sehe ich, ach was, nicht goldene, sondern kunterbunte Lichtlein blitzen. Mal in Sternform, mal in Rentier- oder Weihnachtsmann-Kontur. Ja, es ist weithin sichtbar: der Advent ist da. Und mit ihm, mit dem heutigen Datum, auch der MiniKrimi-AdventsKalender. Es gibt also wieder (fast) jeden Tag einen MiniKrimi auf mariebastide.de. Ich freue mich darauf! Und Ihr? Bitte – kommentiert fleißig und eifrig, gebt mir Anregungen, schreibt mir Clues, oder schickt mir Euren eigenen MiniKrimi, den ich naürlich unter Eurem Namen veröffentliche!

Also Freunde: lassen wir’s krachen, blitzen, klirren. Auf eine mordsmäßige Weihnachtszeit!

(Bildquelle)

 

 

Minikrimi-Adventskalender 2016


Es geht lohooooos!
Na, dachtet Ihr, diese Jahr ist Ebbe mit den Adventskalenderkrimis? Hattet Ihr etwas gehofft. ich überlasse Euch der gemütlichen Kuschelstimmung und das einzige, was knistern würde, wäre der Kamin? Weit gefehlt! Hier kommt also der erste Adventskalender-Minikrimi 2016. Ach ja – teilt Eure Minikrimifreude ruhig mit anderen. Ich freue mich über alle, die sich einklicken, hier. Also…
Tadaaaaaaaaaaaaaaaa!

 

Kein Ferrari... aber eine Explosion
Kein Ferrari… aber eine Explosion

 Minikrimi am 1. Dezember: Eine Familienangelegenheit

„Ich hätte auf meine Mutter hören müssen. Sie hat mir von Anfang an gesagt, dass ich dir nicht vertrauen kann. Dass du ein Mistkerl bist!Du und eine Familie…“
„Ah ja, deine Mamma. Aber dafür, die ganze Hochzeit zu bezahlen, im Schloss, inklusive der Suiten für die Gäste, dafür war der Mistkerl deiner Mamma gut genug?“
„Sie wollte mich eben glücklich sehen…!“
„Und, das warst du doch auch, Mia, cara!“
„Keinen Schritt näher! Diesmal wickelst du mich nicht um den Finger. Ich weiß genau, was du gemacht hast, als du angeblich mit Sandro Billard gespielt hast. Billard! Ha. Du warst mit Sophie zusammen. Wenn die mit Kugeln gespielt hat, dann sicher nicht Billard.“
„Amore, sei nicht so ordinär. Gut, ja, ich war mit Sofia unterwegs. Aber es ist nicht so, wie du denkst…“
„Wie oder was ich denke, das weißt du doch gar nicht. Es hat sich aus-ge-amoret. Du hast mich nur geheiratet, um eine Alibi für deine Eskapaden zu haben.“
„Amore….. sei still. Sprich nicht von Alibi. Du redest dich gerade um Kopf und Kragen…. Was ist, wenn Papà jetzt reinkommt…?“
“ Hör mir auf mit deiner „Ehre“. Ich habe keine Angst vor deinem Vater. Und das werde ich dir beweisen. Auf der Stelle.“
„Cara, wo gehst du hin? Bleib hier. Ich kann dir alles erklären!“

„Aber meine Kleine, was ist denn los? Hat mein Sohn dich verärgert?“
„DU hast mir gerade noch gefehlt! Geh mir aus dem Weg. Ich habe genug von eurer „Familie“.
„Cara, wo willst du hin?“
„Das wirst du schon sehen. Und ich versichere dir, ich werde allen erzählen, wie es bei euch zugeht!“
„Aber Cara, beruhige dich doch. Schau mal, ich habe dir etwas mitgebracht. Ich schlage vor, du machst gleich eine kleine Probefahrt. Und ich bin sicher, dabei werden sich deine Sorgen von alleine zerschlagen.“
„Salvatore! Ein Ferrari! Gut, danke für die „Probefahrt“. Aber denk bloß nicht, dass du mich damit kaufen kannst.“

„Keine Angst, meine Kleine. Das habe ich nicht vor.“
Mit diesen Worten packt Salvatore seinen Sohn am Arm und zieht ihn ins Haus. Der versucht, sich loszureißen, schreit: „Mia, NEIN!“ Und dann, „Papà, halt. Du machst einen Fehler. Sie ist doch nur eifersüchtig….“

Aber da hat Mia bereits den Zündschlüssel umgedreht. Die Explosion ist eines Ferrari würdig.

MiniKrimi vom 15. Dezember


Dieser Krimi ist den stud. med. gewidmet, die morgen  hoffentlich in B. ihre „Ana“-Prüfung mit Glanz und Gloria bestehen werden, einem davon ganz besonders.

 

Gehirntraining

„Zeigen Sie mal her ihr Rigorosum-Präparat!“ Professor V., schon an guten Tagen ein reizbarer Geist, ist heute sichtbar schlecht gelaunt. Wahrscheinlich hat er verschlafen, in seinem weißen Bart kleben Eigelbtropfen und ein Stück Schale. Er hasst es, früh aufzustehen, und die Studenten müssen heute dafür büßen, dass er den Kollegen M. morgens um acht Uhr im Präparationssaal vertreten muss. Er tritt zu dem Tisch, um den herum drei Studenten ihre Werke betrachten, jeweils eine Portion dessen, was einmal die Denk- und Schaltzentrale eines Menschen gewesen ist. Doch das ist lange her. Der frühere Besitzer – vielleicht war es auch eine Besitzerin – ruht, weitgehend in Einzelteile zerlegt, nicht in Frieden, sondern in Formalin.

Professor V. nähert sich dem ersten Präparat. „Was ist denn das? Und das? Und das?“ Bei jeder Frage macht er einen Schnitt mit dem Skalpell ins Präparat. Noch bevor sich der entsetzte Student von seinem Schrecken erholen kann, ist V. schon beim nächsten. „Schlampig gearbeitet“, schimpft er. Und säbelt drauflos. Die dritte Studentin will ihr Präparat in Sicherheit bringen, aber V. ist schneller. Und so zerlegt er auch dieses in  unbrauchbare Einzelscheiben. „So, und jetzt machen Sie ein neues anatomisches Präparat. Sonst können Sie morgen nicht zur Präparationsprüfung zugelassen werden.“

„Aber Herr Professor“, findet einer der drei endlich die Sprache wieder. „Es gibt keine Leichen mehr bzw. kein Gehirn!“ „Also wissen Sie, es ist mir wirklich egal, wo Sie ihr Gehirn für morgen herbekommen. Lassen Sie sich was einfallen, junger Mann. Sonst fallen Sie eben durch.“ Professor V. rauscht aus dem Raum. Jetzt geht es ihm schon entschieden besser. Während er bei Kaffee und zweitem Frühstück sitzt, fragt er sich amüsiert, wie die armen Studenten wohl bis morgen ein neues Präparat erstellen werden.

Am nächsten Tag ist Professor M. pünktlich zur Stelle, um die Präparationsprüfung für das Rigorosum abzunehmen. Im Saal herrscht gespannte Stille, während er von Tisch zu Tisch geht und die Arbeiten begutachtet.

„Ah, was ist denn das?“ Er steht am Tisch der drei unglücklichen Opfer von Professor V, „Ihre Proben haben eine etwas andere Färbung. Und der Geruch….“ Professor M. betrachtet nachdenklich die Präparate. Aber außer des ungewöhnlichen frischen Erscheinungsbildes kann er rein gar nichts daran aussetzen. „Gut, gut. Sehr gut“, murmelt er und nickt den dreien zu. „Ich denke, Sie haben bestanden.“

Nach dem Ende der Prüfung, als alle Studenten schon gegangen sind, die einen niedergeschlagen und die anderen hoch erhobenen Hauptes, räumt der technische Assistent die Präparate weg und reinigt die Tische. Studenten sind doch alle gleich. Er hat noch nie einen gesehen, der seinen Tisch sauber zurückgelassen hat. Hier liegt sogar noch ein halbes Gehirn. Ist doch schade, es wegzuwerfen. Es sieht so gut aus. Der Assistent trägt es in den Kühlraum. Und siehe da, Unordnung auch hier: eine Kühlzellen-Luke ist nicht richtig verschlossen.

Als der Assistent die Luke öffnet, kippt ihm der Kopf von Professor V. entgegen. Im Barthaar kleben Reste von Eigelb und Schale. Die Schädelkalotte wurde eröffnet, und das Gehirn gewebsschonend entnommen.

 

 

MiniKrimi am 7. Dezember


Der heutige MiniKrimi stammt aus der Feder von Katrin Schroth. Sie ist Online-Journalistin, Musikwissenschaftlerin und nach eigenen Angaben ein Neuling in der Krimizunft.  Ich finde, ihr Debüt hat absolut Potential. Weiter so, liebe Katrin, wir sind gespannt! 

Mehr über sie findet Ihr auf http://www.katrinschroth.de 

 

Folgenreicher Einkauf

„Oh Mann“ denkt sie, „wird das heute noch was?“. Draußen ist es stockdunkel. Die Schlange an der Supermarkt-Kasse ist für Anfang Dezember eigentlich verhältnismäßig kurz. Doch ihr erscheint sie endlos lang. Ein lautes, entnervtes Ausatmen soll ihre Laune bessern, das gelingt aber nicht wirklich. Sie kontrolliert nochmal ihren Einkaufszettel: Butter – erledigt. Milch – zwei Tüten. Karotten: natürlich bio. Avocado: gab es leider keine in guter Qualität.

Keine Gedanken macht sie sich über die anderen Wartenden in der Schlange. Der neugierige Blick des jungen Mannes wäre ihr an einem ihrer besseren Tage bestimmt aufgefallen. Seit geraumer Zeit beobachtet er sie schon. Sonst lauert er seinen Opfern in Cafés auf und folgt ihnen unauffällig nach Hause. Sie hingegen ist ein echter Zufallsfund. Sie lief ihm einfach so im Supermarkt über den Weg. Ob sie ahnt, dass sie zum letzten Mal hier einkauft?

Endlich bezahlt! Hastig packt sie die Sachen in die Tüte, zieht ihre Handschuhe an und geht in die Kälte. Jetzt ein heißes Bad, freut sie sich. Der Mann, der ihr folgt, freut sich auch. Er ist innerlich angenehm erregt und wartet nur auf einen günstigen Augenblick, um zuzuschlagen.

 

MiniKrimi am 3. Dezember


Darum geht es nicht.

„Mist, Mist, Mist. Verdammter Mist!“ Manfred spürt, wie ihm die Hitze in die Stirn steigt. Schweißperlen tropfen vom Rand der Skimaske auf seine Wimpern. „Verdammt, Harry, wo bleibst du?“ Er schüttelt sein Handy. Eine reine Übersprungshandlung. Das Display bleibt dunkel. Harry ruft nicht an. Bis jetzt ist alles perfekt nach Plan verlaufen.  Von dem Moment an, wo Manfred in den Schalterraum gesprungen ist und gebrüllt hat (etwas zu laut, aber daran waren die vielen US-Serien schuld, die er sich als Trainingsvideos reingezogen hatte) „Das ist ein Überfall“, bis jetzt, wo er mit einem Rucksack und zwei Plastiktüten voller Geld an der Tür steht. Die Leute in der Bank haben mitgemacht, als hätten sie ihre Rollen auswendig gelernt. Die Kunden haben sich auf den Boden gelegt, die Angestellten unter die Bänke. Keiner hat gewagt, den Alarm auszulösen, nachdem Manfred dem Filialleiter rein prophylaktisch die Hand zerschossen hat, mit seiner alten, vor Jahren geklauten Walther PPK. Die Männer haben sich vor Angst in die Hosen gemacht! Und die Frauen haben gewimmert. „Bitte, tun Sie mir nichts!“ Und es hat fast so geklungen, als wären sie bereit, sogar die Beine breit zu machen, für ihn, wenn er es ihnen befehlen würde. Eine Sekunde lang spielt Manfred mit dem Gedanken. Wenn er sowieso auf Harry warten muss….. Aber das ist natürlich nur ein Trick, den ihm das Adrenalin spielt. Er weiß genau, er hat noch höchstens fünf Minuten, dann kriegen die Bullen Wind von dem Überfall. Schon stehen die ersten Passanten vor der Bank, einer zückt sein Handy. „Verdammt, Harry, warum kommst du nicht?“

Manfred weiß es nicht, aber Harry kann nicht kommen. Auf dem Weg zur Bankfiliale ist ihm einer reingefahren, während er in seinem gestohlenen Wagen brav an der roten Ampel hielt. In diesem Moment klebt Harry am Airbag, sieht tausend Sterne und wird von Passanten so aufmerksam umsorgt, dass er nicht mal abhauen kann, bevor die Polizei auftaucht.

Manfred muss sich entscheiden. Er fuchtelt ein letztes Mal mit der Walther in der Luft herum, schießt eine Neonröhre von der Decke und schreit: „Keiner rührt sich, bis ich weg bin, ich knall euch auch durch die Scheibe ab, wenn’s sein muss!“ Dann geht er auf die Straße und hält das rote Auto an, das gerade vor der Bank einparkt. Er springt auf die Straße, reißt die Fahrertür einen Spalt weit auf und zischt: „Los, aussteigen, aber’n bisschen pronto.“ Dabei hält er der Fahrerin die Pistole direkt vors Gesicht. Sie schaut ihn an. Aus großen, braunen, mit schwarzem Kajal ummalten Augen. Sagt kein Wort. Und bewegt sich nicht. „Hey, du Schlampe. Wird’s bald?“ Keine Reaktion. Sie schaut ihn nur an aus ihren großen braunen Augen. Schweigend. Und Manfred schaut zurück. Das hat er noch nie erlebt. Sie gehorcht ihm einfach nicht. Gehorcht. Ihm. Nicht. Hat sie keine Angst? Was mach ich jetzt?, schießt es ihm durch den Kopf. Seine Verwirrung dauert nur ein, zwei Sekunden. Doch das genügt. Sie packt den Griff der Autotür von innen und schlägt sie ihm, so fest sie kann, gegen den zu ihr gebeugten Kopf.

Manfred fällt zu Boden. Und dann, endlich, kommen zwei, drei, vier Personen, entreißen ihm die Waffe. Die Polizei ist da. Als sie ihm Handschellen anlegen, dreht er den Kopf und schaut herüber zu der Frau im Auto. Auf der Scheibe klebt ein großes Rollstuhlfahrerzeichen. „Warum haben Sie das nicht gesagt?“ hört er sich rufen.

„Darum ging es nicht“, ruft sie zurück. Und schaut ihn an. Aus großen, braunen, schwarz ummalten Augen.

MiniKrimi am 2. Dezember


Ich freue mich sehr, dass der MiniKrimi-Adventskalender in diesem Jahr von Kolleginnen und Kollegen mit gestaltet wird! Danke, liebe Autorinnen und Autoren, für das Vertrauen, mit dem Ihr mir Eure Krimis ans Herz gelegt habt!

Ich bin für die Inhalte der MinKrimis meiner Kolleginnen und Kollegen nicht verantwortlich. Auch dürfen diese nicht von dieser Seite kopiert und vervielfältigt werden.

Den heutigen Gast-MiniKrimi hat HL Ween geschrieben. Mehr von und über ihn gibt es hier: http://www.wolfganghiller-hlween.com/index.htm

Messerscharf –Nanokrimi von HL Ween (Wolfgang Hiller)

Papa ist lieb. Und er sieht ganz gut aus. Mindestens für sein Alter. Seit Mama ertrunken ist, bin ich ganz allein sein Liebling. Gehört sich auch so. Schließlich habe ich nachgeholfen, als ich sie sturztrunken in der Badewanne fand. Seitdem darf ich neben ihm schlafen. Das ist praktisch. Früher musste er in mein Zimmer schleichen, um mir was vorzulesen. Sagen Sie nicht, ich sei verdorben. Es war alles ganz harmlos. Oder glauben Sie an die Lolita-Falle?

Heute beim Frühstück wurde er plötzlich ganz ernst. „Weißt du, wie alt du bist?“

Dumme Frage! Zu meinem Dreizehnten waren doch erst vorgestern etliche Freundinnen gekommen. „Vierzehn!“, neckte ich ihn.

„Vierzehn, so, so. Dann kannst du Mama bald völlig ersetzen …“

Was er damit wohl meinte? Doch nicht etwa weitere Hausarbeit? Meiner Lieblingslehrerin erzählte ich gleich von Vaters Worten. Schmückte alles ein wenig aus. Schließlich habe ich null Bock auf Abwaschen. Frau Brunn hörte mir mit offenem Mund zu. Stotterte dann: „Du hast aber eine krude Fantasie!“

Von ihr kann ich keine Hilfe erwarten. Von anderen schon, wenn ich erzähle, was er mit mir hat machen wollen.

Da, ich höre Schritte. Ist er es? Papa? Keine Antwort. Instinktiv greife ich unter die Bettdecke, schließe die Augen und kratze mich, bis es blutet. Dann ist er auch schon neben mir.

„Ich liebe dich“, kreische ich. Immer und immer wieder, bis er meinen Mund zuhält. Darauf habe ich gewartet.

Als das große Fleischmesser in seinen Bauch fährt, weiß ich, dass ich frei sein werde. Ins Gefängnis muss ich ohnehin nicht, bin ja noch strafunmündig. Und aus dem Erziehungsheim bin ich nach einer Stunde draußen. Dafür sorgt schon Onkel Luitpold. Der ist viel reicher als Papa, sieht hübscher aus und wird die arme Vollwaise bestimmt ohne Ende verwöhnen.

MiniKrimi am 1. Dezember


Falsch gebrieft

So eine nette alte Dame. Richtig niedlich. Im Grunde sind alte Leute doch wie kleine Kinder. Süß und hilfsbedürftig und so dankbar. Frau Teuvel ist die erste Patientin, die Dunja nach ihrem Kurs zur ehrenamtlichen Demenzbegleiterin betreut. Und sie ist ja so pflegeleicht. „Oma, komm essen, komm!“, und schon sitzt Frau Teuvel am Tisch und lässt sich das Lätzchen umbinden. Fragen wie: „was machen Sie eigentlich hier?“ oder „warum nennen Sie mich Oma? Sie sind nicht meine Enkeltochter, oder?“ ignoriert Dunja einfach. So sind sie halt, die Demenzkranken. Na gut, sie hat sich am Abend nicht waschen lassen, aber das machen wir gleich morgen früh, entscheidet Dunja. Dann verstecken wir auch das Bügeleisen, das die Alte im Bett hat. Dunja freut sich auf ein Gläschen Wein und ihren Lieblingsfilm. Die Alten gehen ja zum Glück früh uns Bett und schlafen tief und fest, auch das hat sie im Kurs gelernt. Held und Heldin haben sich gerade in einem nicht enden wollenden Kuss gefunden, in Großeinstellung, als Frau Teuvel plötzlich vor der Couch steht. Lautlos hat sie sich angeschlichen. Hände hinterm Rücken, starrt sie Dunja an. „Wer sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus? Sie sind ein Einbrecher, ich rufe die Polizei.“ Dunja ist verärgert. Ausgerechnet jetzt muss die Alte aufwachen. „Alles gut, Oma, geh wieder ins Bett. Ich bin die Dunja, ich passe auf dich auf.“ „Aufpassen? Auf mich? Ich zeig dir was. Pass auf, du, du…..“ Vielleicht hätte Dunja ihrem Kursleiter einen Vorwurf machen können, weil er sie falsch vorbereitet hat. Aber dazu kommt das Bügeleisen viel zu schnell hinter Frau Teuvels Rücken hervor und saust auf Dunjas Kopf herunter.

„Ist da die Polizei? Hilfe! Ein Einbrecher hat gerade meine Betreuerin erschlagen. Kommen Sie schnell, ich habe solche Angst! Ja, ich bleibe ganz ruhig vor dem Fernseher und trinke ein Glas Wein, bis Sie kommen.“

Adventskalender 2.0. 18. Dezember: Fluchtversuch!


Die letzten Tage sind mir wie im Flug vergangen. Über den Atlantik, mit Wellentälern und Schwindelkämmen. Windstärke hundert, mindestens. Mir war speiübel, meistens. Und meine Augen wogen Tonnen. Dahinter liefen die merkwürdigsten Filme ab. Da liefen Typen durch meine Wohnung. Alle in schwarz, sogar die Augen. Ich wollte hören, was sie sagten, aber meine Ohren waren wie mit Watte verstopft. Oder der Orkan brauste einfach zu stark. Immer wieder versuchte ich, einen von ihnen an der Hose zu zupfen, wenn er an mir vorbeikam. Aber meine Finger griffen ins Leere. Als sei ich auf dem Fliegenden Holländer, und die ganze Crew nur Gespenster. Dann plötzlich war alles blutrot. Das waren die Momente, vor denen ich mich am meisten fürchtete. Es regnete Rubine, sie rieselten auf mich herab, stachen und brannten. Ich war gefangen in diesem Traumhaus und wollte da raus! Einmal schrie ich so laut, dass mein Kopf davon hallte, als sei er ein leeres Kirchenschiff. Da fühlte ich eine kühle Hand auf meiner Stirn, für einen Moment kam meine Welt ins Lot und ich hörte Franck’s Stimme: „Komm, Engel, trink etwas. Du hast Fieber, aber ich bin bei dir, ich lass dich nicht allein.“ Dankbar nahm ich das Glas und dann auch seine Hand. Er ließ sie mir und seine Finger schlängelten sich wie Vipern an meinen entlang. Ich konnte ihn sehen. Müde und blass. Der Ärmste! Er kannte mich kaum und nahm diese Mühe auf sich!

„Danke. Für alles“. Hauchte ich, und dann schlug das Wattemeer wieder über mir zusammen. Kurz vor dem Untertauchen glaubte ich noch eine Gestalt zu sehen, die sich am Türrahmen entlangschob. Und Franck, der abwehrend die Hand hob. Ach, er konnte den Albtraum nicht aufhalten. Ich wimmerte leise und hörte mich selbst. Das bist doch nicht du, Gisa, flüsterte plötzlich die kleine Stimme. Wach auf, bleib an Land! „Schlaf, mein Engel,“ flüsterte Franck.  „Schlaf dich gesund!“ Nein, bleib da!, kam die kleine Stimme wieder. Und ich riss mühsam die Augen auf, starrte in mein Zimmer voller schwarzer Männer. „Gisa, du schläfst jetzt!“, befahl Franck und drückte mir beide Daumen auf die Lider. „Au!“ schrie ich erschrocken. Aber da war es schon dunkel, Samt schlug mich in seinen Bann. Wache ich noch einmal auf?