MiniKrimi Adventskalender am 14. Dezember


dliche Erinnerung

„Hey Lukas, weißt du noch? Du hattest immer weiße Jeans an, knalleng, hat sich alles abgezeichnet. Und dazu mit Silber beschlagene Cowboystiefel.“ „Klar. Aber du hast meine Ray Ban vergessen. Die war übrigens reiner Selbstschutz. Wenn ich die während der Vorlesung abgesetzt hätte, wären die „ragazze“ beim Anblick meiner strahlend blauen Augen reihenweise in Ohnmacht gefallen.“

Lautes Gelächter, von einigen nicht ganz ernst gemeint. Es ist fünf Uhr nachmittags, die Terrasse der Strandbar „Da Micco“ bietet einen malerischen Ausblick auf die Marina, sanfte Wellen schaukeln Möwen und ein paar Tretboote. Der Himmel strahlt, die Sonne neigt sich zum Horizont und leckt schon himbeerrot am Meer. Von drinnen klingen die Lieder herüber, die in den späten 1970ern die Jukebox gefüllt haben: Battisti und Dalla, De André und Baglioni. Lukas hat extra einen Stick damit vorbereitet. Es soll alles so sein wie damals, als sie an der Università degli Studi in Pisa Medizin studiert haben. Es waren tolle Jahre, in jeder Hinsicht. Raus aus dem deutschen Mief, weit weg von den Eltern, Sonne, Meer, Espresso und Prosecco zum Abwinken. Und die „ragazze“! Die blonden Deutschen mit den dank Papa gut gefüllten Geldbörsen waren beliebt. Nicht nur bei den Mädels in den Bars und am Strand. Auch die – zugegeben wenigen – Kommilitoninnen ließen sich gerne auf die Studenten aus Heilbronn, Marburg oder Oberursel ein.

Ach ja. Tempus fugit, wie Lukas bei der Begrüßung sagte. Über 40 Jahre sind seitdem vergangen. Aber die Clique der „Tedeschi“ – den Namen hatten ihnen die italienischen Studenten gegeben, und sie hatten ihn gerne übernommen – hat sich nicht aus den Augen verloren. Alle 5 Jahre treffen sie sich in der Strandbar. Jetzt heißt sie „da Micco“, davor hieß sie „Queen“, „Miami“ und, in den späten 1990ern, „Stella Marina“. Die Zeit flieht, und die Reihen der Freunde werden lichter. Hermann hatte 1990 einen tödlichen Unfall mit seinem Ferrari. Andreas hatte Krebs – Bauchspeicheldrüse. Beim vorletzten Treffen war er noch dabei und siegessicher. Ein Chirurg wird doch die Oberhand behalten? Kurz danach kam dann die Todesanzeige. Franz hat das zweite Mal geheiratet, klassischerweise seine OP-Schwester, 30 Jahre jünger. Jetzt sitzt er mit den Zwillingen in der Villa am Bodensee, und sie macht Yogaurlaub. Mit einer Freundin…

Olli trägt Glatze und Bierbauch, Max ein Toupé. Nur Lukas sieht noch so aus wie früher. Zumindest auf den ersten Blick. Die gleichen weißen Jeans, Cowboystiefel, dazu eine freche Ray Ban. Die Haare flott gestylt und noch ziemlich üppig, die Zähne blendend weiß, keine Falte zu viel im Gesicht. Naja, Berufsehre. Lukas leitet die größte Praxis für Plastische Chirurgie in Mannheim. 5 angestellte Ärzt*innen, 15 Mitarbeitende. Er ist nur noch 2 Mal die Woche da, für die wichtigsten – und reichsten – Patientinnen und Patienten.

So sind sie diesmal also nur noch zu siebt. Lukas und Ingo, Olli, Wolfram mit seiner Frau Isa, die seinen Rollstuhl schiebt und ihm mit säuerlicher Miene den dritten Prosecco genehmigt, Peter, Fritz und Hajo. Alles arrivierte Ärzte. Fritz und Hugo engagieren sich ehrenamtlich in einer Klinik für Landminenopfer in Pakistan. Ingo hat seine unfallchirurgische Praxis seinem Sohn Heiko übergeben und segelt seitdem mit Freunden um die Welt. Freunde, Partner – heute ist das ja alles kein Thema mehr. Aber damals….

Außerdem sind bei den Treffen immer auch noch ein paar Italienerinnen dabei. Kommilitoninnen von damals. Freundinnen aus dem Dunstkreis der Tedeschi. Allegra, die Dolmetscherin, die Lukas‘ Doktorarbeit übersetzt hat, Francesca, die niedergelassene Dermatologin. Nur Laura fehlt. Natürlich.

Warum hat Lukas sie immer wieder eingeladen, obwohl sie nie gekommen ist? Pflichtbewusstsein? Alte Zeiten? Oder ein schlechtes Gewissen? Er hat den anderen nie von der Einladung an Laura erzählt. Hermann und Ingo wären dann auf keinen Fall gekommen. Wolfram? Der schon. Kann ja alleine keine Entscheidungen mehr treffen, und Isa liebt diese Auszeit an der toskanischen Küste. Und Olli – der kann sich wahrscheinlich gar nicht mehr an Laura erinnern. Kam ja erst vier Semester später dazu.

Inzwischen sind sie beim 4. oder 5. Negroni, Lukas hat das Zählen aufgegeben, und auch Mavi, seine aktuelle Lebensgefährtin, genießt die „dolce vita“ in vollen Zügen. Detox und Pilates waren gestern und stehen morgen wieder auf dem Plan. Heute wird gefeiert. Lukas‘ Freunde sind gar nicht so öde, wie sie befürchtet hatte. Witzig, charmant und auf eine altertümliche Weise liebenswert. Ingo hat ihr den Stuhl zurechtgerückt. Fritz füllt ihr Glas regelmäßig nach, und Hugo erzählt ihr mit glänzenden Augen von den Frauen, denen sie mit einer Prothese das Leben erleichtert haben. Klingt heldenhaft. Vielleicht fährt sie mal mit. Aber wahrscheinlich legt sich ihre Begeisterung für dieses Projekt, wenn der Prosecco verflogen ist.

Da geht die Terrassentür auf, und eine junge Frau steht vor ihnen. Im langen, weiten weißen Leinenkleid, Goldkettchen um die schmale Fessel, weiße Sandalen. Lange schwarze Locken fallen auf braune Arme. Ihre Augen so groß, ihr Mund so rot.

Lukas lässt das Glas mit seinem Negroni fallen. Klirren. Stille. Hugo, ganz Mann von Welt, geht auf die junge Frau zu. „Signora, suchen Sie jemanden? Das ist eine geschlossene Gesellschaft…“ Aber Lukas sieht und hört, dass auch Hugo die Frau erkannt hat. Laura. Sie sieht aus wie Laura. Aber das kann nicht sein. Laura ist heute Ende fünfzig. Und die Frau vor ihnen? In den Dreißigern. Oder so.

„Scusi, entschuldigen Sie. Ich habe von draußen meine Lieblingsmusik gehört. Ich musste einfach reinkommen. Aber ich gehe gleich wieder. Ich wollte sie nicht stören.“

„Ma no! Nein, bitte. Bleiben Sie. Was möchten Sie trinken? Einen Negroni?“

Mavi schaut zu, wie Lukas der Frau einen Platz anbietet, einen Negroni bringt, sich neben sie setzt und sich alsbald angeregt mit ihr unterhält. Das ist so typisch Lukas. Aber Mavi macht sich nichts mehr daraus. Auch streunende Hunde kehren irgendwann wieder zu ihrem Futternapf zurück. Und der ist bei Mavi immer gut gefüllt. Mit feinstem Essen, gutem Sex und einem offenen Ohr für all die Problemchen und Wehwehchen, die ein arrivierter plastischer Chirurg so hat.

Die Sonne geht unter, Mavi hat Kopfschmerzen. „Ich fahr schon mal ins Hotel“, sagt sie. Lukas nickt abwesend. „Ich komm bald nach. Nimm ruhig das Auto, aber fahr langsam. Ingo nimmt mich mit.“ Ingo ist im gleichen Hotel abgestiegen. Die beiden sltzen links und rechts von der Italienerin, Lucia heißt sie. Reden, lachen, sind betört davon, dass eine schöne Frau ihnen zuhört, mit großen Augen und strahlendem Lächeln. Er wirkt immer noch, ihr Charme. Und warum auch nicht? Zwei erfolgreiche Männer, Ärzte aus Deutschland. Das war doch schon immer ein Freibrief, hier.

Am nächsten Morgen wacht Mavi alleine auf. Von Lukas keine Spur. Sie denkt sich nichts weiter und geht runter zum Frühstück. Dort trifft sie einen verkaterten Wolfram mit einer – wie immer – mürrisch dreinschauenden Isa. Peter, Olli, Fritz und Hajo kommen dazu. Lukas und Ingo sind nirgends zu sehen. Für den späteren Vormittag ist ein Besuch im Naturhistorischen Museum der Universität Pisa geplant. Francesca hat eine Führung organisiert. Mavi fährt bei Fritz und Hajo mit. Auch zum Mittagessen in der Osteria, die die Clique als Studenten zum Stammlokal auserkoren hatten, fehlen Lukas und Ingo.

Was tun? Ist das noch normal? Oder ist den beiden etwas zugestoßen? „Mavi, was sollen wir machen?“, fragt Isa. Denn die Männer sind unschlüssig. Typisch. „Keine Ahnung. Sowas ist eigentlich noch nie passiert. Aber sie sind ja zu zweit. Was soll schon sein?“, antwortet Mavi. Sie ist eher verärgert als besorgt. So eine Rücksichtslosigkeit. Sie sind über 60, nicht 20. Was denken sich die beiden eigentlich? Sie werden doch sicher nicht zusammen mit Lucia…? Ja, was?

Also zurück ins Hotel. Abwesend macht Mavi den Fernseher an. Sie versteht kaum Italienisch. Aber die Bilder sind deutlich genug. Eine männliche Leiche wurde angeschwemmt. Auf der Höhe von Tirrenia. Ohne Papiere. Mit einer Wunde am Kopf. Und 1,9 Promille im Blut. Ganz offensichtlich ist der Mann betrunken von einer Mole ins Meer gestürzt, hat sich dabei an den Steinen verletzt und ist dann ertrunken. Die Großaufnahme der Leiche zeigt – Ingo. (…)

So, meine Lieben. Das ist der erste Teil des Thrillers Tödliche Erinnerung. Übermorgen kommt der zweite Teil. ABER: ihr habt die Möglichkeit, einzugreifen. Was ist passiert? Wo ist Lukas? Und wie soll es weitergehen? Macht mit! Seid Ermittler*innen und Kriminalisten. Ich freue mich auf eure Tipps!

Adventskalender MiniKrimi am 17. Dezember


Die pure Lust

„Tschüss, Schatz. Ich bin spätestens um 19 Uhr wieder da.“

„Was, 19 Uhr? Jetzt ist es gerade mal drei. Was hast du den ganzen Nachmittag über vor?“

„Schatz,“ – leichte Ungeduld in ihrer Stimme – „ich bin bei Franck. Er ist nicht einfach ein Friseur, er ist ein Coiffeur, ein echter Haar-Künstler. Deshalb nimmt er sich für jede Kundin genau die Zeit, die er braucht, um ihre innere Schönheit nach außen leuchten zu lassen. So steht’s auf seiner Webseite, und genau so ist das auch. Jetzt schau mich nicht so an, ich kannte Franck schon, da hatte ich keine Ahnung, dass es dich irgendwo gibt. Deine Eifersucht ist hier wirklich fehl am Platz. Weißt du was, ruf deinen Freund Harald an und triff dich mit ihm im Fitnessclub. Der ist praktisch bei Franck um die Ecke. Dann kannst du mich abholen und mit deiner schicken Frau ins Schumanns gehen, auf einen Cocktail, und dich in den neidischen Blicken der Leute baden.“

Bevor sie Tom kennengelernt hatte, hatte sie ihr Single-Dasein in vollen Zügen genossen und nichts anbrennen lassen, wie man so schön sagt. Und Franck war immer hautnah dabei gewesen. Die Schmetterlinge im Bauch, die heißen Tränen und die kalte Wut – sie hatte alles mit ihm geteilt, denn sie hatte ihm alles mitgeteilt. Sie waren weit mehr als Friseur, pardon Coiffeur und Kundin. Über die Jahre hatte sich zwischen Waschtisch, Trockenhaube und Scheren eine Art Freundschaft entwickelt. Aseptisch und asexuell, trotz der weit über tausend Berührungen.

Sie genoss ihre Termine bei Franck, und egal, wie eifersüchtig Tom auch sein mochte, auf den Luxus, ihre Haare dem besten Friseur der Stadt anzuvertrauen, wollte und würde sie nicht verzichten. Sie hatte sich der zugegeben einzigen Macke ihres ansonsten praktisch perfekten Ehemanns schon oft genug gefügt. Der wunderbare Putzmann war einer unzuverlässigen Haushaltshife mit Staubblindheit und der Vorliebe für die Hausbar ihrer Arbeitgeber gewichen. Wenn sie den Wagen zur Inspektion brachte, achtete sie darauf, zu dem einzigen mit einer Frau besetzen Schalter zu gehen. Das gleiche galt für die Supermarktkasse. Wobei der stets zart gebräunte, glutäugige Filialleiter nicht nur schöner, sondern auch schneller war als die weiblichen Angestellten.

Aber bei Franck war Schluss. Sollte Tom doch endlich lernen, mit seiner völlig unbegründeten Eifersucht umzugehen!

In Francks Salon war kurz vor Weihnachten ungewöhnlich viel Betrieb. Normalerweise organisierte er seine Termine mit geradezu pedantischer Präzision. Aber Franck war eitel. Wenn Frau von Bodmer ihm am Telefon entgegenflötete: „Ach bitte, Franck, Sie müssen einfach ein Minütchen für mich finden. Die Horner-Backridges kommen am ersten Feiertag. Wenn Sie meine Haare nicht stylen, verkrieche ich mich in der Besenkammer!“ Also hatte er die von Bodmer noch reingezwängt, terminlich und räumlich, denn der Salon war mit nur drei Plätzen pures Understatement. Und dann war auch noch Susi Schwan von Sunny TV reingeschneit. Die vergaß nie, vor der Kamera zu erwähnen, dass „der liebe Franck“ ihr wieder so eine tolle Frisur gezaubert hatte.

Kurz, um fünf saß sie immer noch in dem einzigen eleganten und dem entsprechend unbequemen Besuchersessel. Um sechs endlich ging die Bodmer, unmittelbar gefolgt von einer glücklich glucksenden Susi.

„Uff! Sorry, Schätzchen, tut mir unendlich leid! Du weißt ja selbst, sowas ist mir bei dir noch nie passiert. Und auch bei keiner anderen. Aber jetzt habe ich nur noch Augen und Hände für dich. Komm, wir trinken erst mal ein Glas Champagner, zur Entspannung.“

Entspannung war genau das, was sie brauchte. Ihr Nacken fühlte sich an, als hätte ihn eine Horde Elefanten als Trampelpfad benutzt, Während sie sich mit dem kalt prickelnden Schampus zuprosteten, schaute sie auf die Uhr über der Tür und dachte flüchtig an Tom, der jetzt wahrscheinlich mit Harald beim Training war. Soll ich ihn anrufen und sagen, dass er mich nicht vor acht abzuholen braucht? Ach was, dann störe ich ihn nur beim Rudern oder was er sonst gerade macht. Wenn er da ist, ist er da. Muss er sich halt beim Warten langweilen. Dann sieht er wenigstens, dass seine Eifersucht total unbegründet ist.

Franck färbt ihr mit gekonnten Griffen die Haare. Nach einer dank der zweiten Flasche Champagner kurzweiligen Einwirkzeit geht’s an Auswaschen.

Mit geschlossenen Augen und zrurückgelehntem Kopf lässt sie sich von Franck massieren. Schläfen, Nacken, die empfindlichen Stellen hinter den Ohren. „Ooohhhh ja, Franck, das tut so gut. Ooohhh jaaa. Bitte, mach weiter, bitte, ja, jaaaaaa“, stöhnt sie genussvoll mit vom Alkohol angerauter Stimme und einen Tick lauter als nötig.

Beide sind so in den Augenblick vertieft – sie in den entspannenden Genuss und der Coiffeur in seine Arbeit, dass sie das Klingeln der Salontür überhört haben müssen. Plötzlich steht Tom vor ihnen, Schweißperlen auf der hochroten Stirn. „Ich hab’s ja gewusst“, schreit er. „Ich hab dich schon an der Tür stöhnen hören. Jetzt tut nicht so unschuldig. Ihr seid ja wie die Tiere. Treibt es auf dem Friseurstuhl.“

Und schon stürzt er, die Schere in der Hand, auf Franck zu. Instinktiv hebt sie ihren Fuß, um Tom einen Tritt zwischen die Beine zu versetzen. Tom taumelt, rutscht auf dem nassen Boden aus – Franck hat vor Schreck die Brause über den Rand des Waschbeckens fallen lassen, und rund um den Stuhl hat sich eine Lache gebildet – und stürzt so ungeschickt, dass er sich die Schere in den Bauch rammt.

Nachdem der Krankenwagen mit Tom und Blaulicht in die nächste Klinik gefahren und die unter Schock stehende Kundin und der Coiffeur vom Notarzt mit einem Beruhigungsmittel versorgt worden waren, kehrte Ruhe ein, im Salon.

Eine zeitlose Weile saßen die beiden auf der Couch in Frankcs privatem Bereich und nipptem an frischem, eisgekühltem Champagner. Die Luft war schwer von edlen Räucherkerzen, und der vergoldete Buddha auf der Marmorsäule senkte dezent den Blick, als die zwei ausgehungert und nach betäubender Nähe lechzend endlich übereinander herfielen, ganz so, als hätten sie sich bereits tausendmal berührt.

Mini Bibel Thriller: Das Abschiedsgeschenk


Merle und David waren eigentlich schon immer zusammen. Als Nachbarskinder zogen sie zu Halloween als Hexe und Vampir von Tür zu Tür und teilten sich die gesammelten Süßigkeiten. In der Grundschule saßen sie so lange nebeneinander, bis die anderen anfingen, sie deshalb zu hänseln. Irgendwann zwischen Tanzkurs und Abi hatten sie dann ihre erste gemeinsame Nacht. Und allen war klar: Merle und David gehören zusammen, sind einfach DAS Paar.

David machte nach der Schule eine Lehre als Bankkaufmann und stieg schnell im Devisenbereich auf. Merle wusste nicht so recht, was sie studieren sollte. Schließlich entschied sie sich für Sozialpädagogik. Da hatte David schon einen Karriereboost hingelegt und wurde von seiner Bank ins Ausland geschickt. England, dann Spanien. Merle machte verschiedene Praktika bei Wohlfahrtsverbänden und Projekten. Dazwischen jobbte sie als Kellnerin.

Wenn David nach Hause kam, erzählte er vom spannenden Leben in London und Barcelona. Von der Hektik an der Börse, von brenzligen Situationen und davon, wie er sie gerettet hatte. Als er immer weniger davon berichtete, wie er seine Freizeit verbrachte, begann Merle notgedrungen, sich ein Leben ohne ihn vorzustellen.

Und dann war da noch Jonas. Den kannte sie eigentlich schon genauso lange wie David. Jonas wohnte im Haus gegenüber und war ihr bester Freund. Er tröstete sie, als die Eltern sich scheiden ließen, er fälschte die Unterschrift unter dem schlechten Zeugnis. Half ihr beim Kellnern, holte sie ab, wenn es regnete. Kennt Ihr das Lied „Tausend mal berührt, tausendmal ist nix passiert…. Tausendundeine Nacht, und es hat boom gemacht“.

Jonas hatte Merle schon immer geliebt. Jetzt waren sie ein Paar. Zogen zuhause aus und in eine kleine gemeinsame Wohnung. Bescheiden, denn Jonas machte sich gerade selbständig mit einem Weinladen. Öko und Orange Weine waren seine Nische. Als Merle eine Festanstellung in einem Projekt für Kinder mit psychischen Entwicklungsstörungen bekam, brachte Jonas vorsichtig das Thema Verlobung zur Sprache. „Hm. Ja, warum nicht? Aber eigentlich geht’s uns doch auch so sehr gut, oder?“ Merles Reaktion hätte Jonas auf die zukünftigen Ereignisse vorbereiten können. Aber er zog es vor, darüber hinwegzuhören.

Und dann kam David zurück. Ohne Job, ohne allzu viel Geld – denn er hatte sich verspekuliert – und ohne Frau. Er saß eines Abends in der Kneipe, in der Merle nostalgiehalber noch samstags kellnerte. Nachdem alle gegangen waren, saß er immer noch da, und Merle daneben. David schüttete ihr sein Herz aus. Schonungslos ging er mit sich selbst ins Gericht. Und erwartete nichts von Merle. Vielleicht war es das. Vielleicht waren es die vielen Erinnerungen, die sie teilten und sich erzählten. „Hey, weißt du noch?“ „Wahnsinn, wie hieß dieser Typ, der uns damals fast…“ „Wenn ich mir vorstelle, dass wir beide in Las Vegas beinahe…“ Spätestens nach der zweiten Flasche Wein was das Ende vorprogrammiert.

Merle wachte in Davids möbliertem Einzimmerappartement auf. So gelöst, so rundum glücklich und vollkommen. Und als David mit einer Tasse Kaffee vor ihr stand, ein Löffel Zucker, zwei Schuss Hafermilch, war beiden klar: wir gehören zusammen. Wir sind ein Paar.

Merle ist ein zutiefst ehrlicher Mensch. Sie scheut keine Konflikte, bleibt bei der Wahrheit, auch, wenn das schwerer ist als eine Lüge. Doch als sie in ihre Wohnung kam, waren keine Erklärungen nötig. Jonas saß am Küchentisch. Vor sich ein kalter Espresso. Er blickte aus dem Fenster, ohne draußen etwas zu sehen. Aber so intensiv, dass Merle dachte, er habe sie nicht kommen hören. „Wann heiratet ihr?“, fragte er, ohne sie anzuschauen.

Das ist jetzt sechs Monate her. Gestern hat Merle Jonas zum ersten Mal seit diesem Sonntagmorgen wiedergesehen. Da kam er mit einer Flasche Wein zu ihren Eltern, wo Merle die letzte Nacht und die letzten Stunden vor der Hochzeit verbringt. „Merle, bitte. Ich kann nicht so ganz ohne dich leben. Lass uns Freunde sein. Wie früher. Hier, das ist aktuell mein allerbester Wein. Der ist nur für euch, für dich und für David. Ich lasse euch ein paar Kisten mit einer Auswahl aus meinem Laden ins Restaurant schicken. Als Hochzeitsgeschenk.“

„Ach, Jonas!“ Merle fällt ihm um den Hals. Küsst ihn links, rechts, und wieder links auf die Wange. „Dass du gekommen bist ist das allerschönste Geschenk. Du hast mir auch so gefehlt! Ja klar, wir sind Freunde. Für immer! Und David auch. Er mag dich. Wir müssen uns treffen, regelmäßig. So wie früher. Wir alle drei!“

Jonas erinnert sich nur schemenhaft und äußerst ungern an die paar Male, als er mit Merle und David unterwegs war. Früher. Sie waren das typische Pärchen, dass den ganzen Abend turtelt und die Begleitperson wie das völlig überflüssige fünfte Rad am Wagen behandelt. Nämlich gar nicht. Nein, Jonas will ganz bestimmt nie wieder etwas zu dritt unternehmen, mit den beiden. „Ja klar“, lächelt er und zwickt Merle kumpelhaft in die Schulter. Sie zuckt zusammen. „Au“. „Oh, sorry.“ Wie oft hat er diese Schulter massiert. Mit sanften Händen. Mit zärtlichen Lippen. Nein. Hör auf, Jonas. Das ist vorbei, weist er sich selbst zurecht.

„Wenn du mir sagst, wo ihr feiert, lass ich den Wein hinbringen.“ „Quatsch, Jonas. Du kommst natürlich zur Hochzeit! Nein, keine Widerrede. Jetzt, wo wir uns wiedergefunden haben, lass ich dich nicht wieder aus!“

  „Na gut. Dann sehen wir uns morgen. Soll ich eure Flasche dann auch wieder mitnehmen?“ „Nein. Die bekommt einen Ehrenplatz auf unserem Tisch. Bis morgen. Ich hab dich lieb!“ Merle drückt Jonas fest an sich, dann schließt sie die Haustür.

Jonas bleibt außen vor. Ausgeschlossen aus dem Leben, von dem er geträumt hatte und das schon zum Greifen nah war. Bevor David zurückgekommen ist.

„Das Leben geht weiter. Für die einen. Für die anderen…“, murmelt er vor sich hin. Dann steigt er ins Auto. Er hat noch einiges zu organisieren.

„Stell dir vor, Jonas spendiert uns den Wein für morgen. Was sagst du dazu?“ Zunächst ist David reserviert. Ganz hinten in seinem Kopf lauert immer noch die Eifersucht. Aber dann denkt er: Was soll’s. Jonas ist Merles ältester Freund. Der beste. Ist doch schön, wenn die zwei sich wieder vertragen. Und dass er uns den Wein schenkt ist ne tolle Geste!

Der Hochzeitstag bricht an. Und mit ihm die ganz normale Hektik. Wo sind die Ringe? Am Kleid fehlt ein Knopf! Wann kommt Papa mit dem Mercedes? Hilfe, die Blumen lassen die Köpfe hängen! Nur eines verspüren weder Merle noch David: Torschlusspanik und die Angst, einen Riesenfehler zu machen. Sie wissen: wir gehören zusammen. Ist das nicht schön?

Jonas hat sich sorgfältig angezogen. Seine Geschäfte gehen gut, er kann sich elegante Kleidung leisten. Wahrscheinlich hat er bedeutend mehr Geld zur Verfügung als David, im Moment. Aber Kohle hat Merle noch nie beeindruckt. Oder interessiert.

Es ist Zeit für die Kirche. Mit Schrecken stellt er fest, dass Merle ihn in der zweiten Reihe platziert hat, neben ihrer Schwester Jette. Sie ist auch ohne Begleitung da. Hoffentlich ist das kein Versuch, ihn zu verkuppeln! Denn Jonas hat sein Herz schon verloren. Damals. Und als die Liebe vorüber war, war sein Herz zerbrochen. Bis heute. Heute wird er es wieder ganz machen. Und füllen. Wenn schon nicht mit Liebe, dann mit Hass.

Die nächsten Stunden ziehen an Jonas vorbei, und er zieht mit, ferngesteuert. Lächelt fürs Gruppenfoto, hilft Merles Mutter aus dem Auto. Rückt Jette den Stuhl im Restaurant zurecht. Schon wieder neben ihm!

Gespannt schaut er zum Brauttisch hinüber. Sie sitzen ihm schräg gegenüber, nur einen Meter entfernt. Rote Rosen auf weißem Damast. Wie altbacken und kitschig. Typisch David. Weiße Teller, silberne Untersetzer, funkelnde Gläser. Und genau in der Mitte zwischen den Gedecken des Brautpaars prangt seine Flasche Wein. Das goldene Etikett fängt die Sonnenstrahlen ein, die durch die französischen Fenster fließen. Jonas greift automatisch unter seinen Stuhl. Dort steht in einem reich verzierten Präsentkorb eine zweite, identische Flasche. Schon geöffnet. Bereit, in der Panik vertauscht zu werden, die losbrechen wird. Gleich. Sobald das Brautpaar die Gläser gehoben hat.

Das Leben geht weiter. Für die einen. Aber für die anderen… endet es genau dann, wenn es am schönsten ist. Vermeintlich. Denn wer Wind säht, darf sich nicht wundern, wenn er Sturm erntet. So ist das, David. So ist das, Merle.

Genau in diesem Moment schiebt sich eine Wolke vor die Sonne. Eine einzige schwarze Wolke im ansonsten tiefblau ungetrübten Himmel. Ein Windstoß bläht die Vorhänge, und ein Donner zerschlägt die Sommerluft.

Merle zuckt zusammen. Sie greift nach Davids Hand. Es ist eine unbewusste Geste. Aber er umschließt sie, behutsam und sehr sanft. Und schaut sie an. Seine Frau. Mit einem Blick, so tief, so dunkel, so geborgen, dass Merle sich darin versenkt. Sie entspannt sich. Und dann – lächeln sich die beiden an. Ort- und weltvergessen. Yin und Yang. Ein Paar, das zusammengehört. Im Leben. Und danach.

Aber bis dahin haben die beiden noch einen langen gemeinsamen Weg vor sich. Das erkennt Jonas jetzt, nachdem die Brille aus Hass und Neid zersplittert ist, zertrümmert durch diesen einen mächtigen Donnerschlag.

Nachdem die Festgesellschaft sich von dem Schreck über den himmlischen Paukenknall erholt hat, greift Jonas zur goldenen Weinflasche. Schenkt seiner Frau und dann sich selbst etwas ein, steht auf und erhebt das Glas. Jonas starrt gebannt auf Davis Hände. Gelähmt. Dann, plötzlich, unvermittelt und beinahe ungewollt zieht er mit einem Ruck am Tischdamast. Krallt sich daran fest und kippt seitwärts mitsamt dem Stuhl zu Boden. Teller, Gläser, alles fällt. Die Gäste rufen, Merle reißt die Augen auf. In dem Tumult gelingt es Jonas, die Flaschen zu vertauschen. No harm done. „Mir geht’s gut. Der Donner hat mich umgehauen, buchstäblich. Sorry!“, entschuldigt sich Jonas und mimt den Zerknirschten.

Nun denn: Neue Gläser, neuer Inhalt. Und dann die Rede. Alle trinken auf das Brautpaar. Auch das Brautpaar.

Der Rest der Feier verläuft so, wie bei Hochzeiten üblich. Jonas tanzt mit Jette. Und wird von Merle abgeklatscht. Als er sie in seinen Armen hält, taucht er tief ein in ihren Duft und ist unendlich glücklich, dass er nicht zum letzten Mal mit seiner besten Freundin tanzt. Der Frau eines anderen. Ja. Aber ein Teil von ihr gehört zu ihm. Und das genügt ihm. Jetzt.

Und hier eine andere Schluss-Variante. Welche gefällt euch besser?

Es ist weit nach Mitternacht. Ganz hinten am Horizont lungert schon der neue Tag und wartet auf Einlass. Das Dunkel trägt einen rosenroten Saum. Merle geht an den verwaisten Tischen entlang, streicht mit leichten Fingern hier über eine welkende Rose, dort über ein gekraustes Blatt. „Ich kann es gar nicht glauben. Heute ist der Anfang unserer gemeinsamen Unendlichkeit“, sagt sie. Und dann: „Hey. Schau mal, hier unterm Tisch steht noch ne offene Flasche Wein. Komm, mein lieber Mann. Auf uns und unser Leben!“ Sie nimmt einen Schluck aus der Flasche und reicht sie David, der ebenfalls genüsslich daraus trinkt.

MiniKrimi Adventskalender am 3. Dezember


Toxischer Advent

Wenn Mias Stimmung wetterabhängig wäre, hätte sie sich heute gleich nach dem Aufstehen und dem ersten Blick aus dem Fenster wieder unter die Bettdecke verkrochen und den Tag damit verbracht, Netflix zu durchstöbern.

Aber so ist sie nicht. Sie kann jedem Wetter etwas abgewinnen. Nicht umsonst hat sie jahrzehntelang das Credo ihrer Mutter angehört. „Change it, leave it or love it.“ Tiefe Nebelbänke über den Wiesen? Feuchtbraune Blätterhaufen am Straßenrand? Klumpige Wegfurchen, in denen sie mit ihren Profilsohlen zentimetertief einsinkt? Glänzendgraue Straßen, auf denen sich die Lichter spiegeln, noch um 10 Uhr morgens?

Das ideale Wetter für ein freundschaftliches Gespräch mit Finn. Das hat sie ohnehin schon viel zu lange vor sich hergeschoben. Wahrscheinlich denkt er, sie leide unter der Trennung. Vielleicht glaubt er sogar, sie fühle sich verlassen? Oder, die schlimmste Möglichkeit – und gleichzeitig die Finn-typischste: Er liest ihre bisherige Zurückhaltung als Schuldeingeständnis. In seinen Augen, in seinem Denken, nein, in seiner Überzeugung hat er schließlich nur die Reißleine gezogen und sich aus einer toxischen Beziehung gerettet, in der er jeden Tag bevormundet und gedemütigt wurde.

Finn, also. Meinst du wirklich, dass du dafür schon bereit bist?, fragt ihre Katze Nestor mit kritischem Blick. Bist du komplett über alles hinweg? Die Ohrfeige? Der zerstörte Laptop? Der Fake-Anruf bei deinem Chef, der dich den Job gekostet hat? Ja, alles verarbeitet? Und dass Finn jetzt mit Anja zusammenlebt, ihrer – ehemaligen – besten Freundin? Mit der er ein Kind erwartet (während Mia mit ihm nur eine Katze haben durfte)?

Alles vorbei. Nicht vergessen, nein. Aber von gestern, halt. Und zwar sowas von. Toxisch. Ja, Das war sie wohl gewesen, diese große Liebe. Gift für sie und ihr Selbstwertgefühl. Seit der Trennung geht es ihr viel besser. Und das will sie Finn unbedingt zeigen. Ein Blick in den Spiegel: Kastanienbraune Locken fallen lang über die Schultern. Die Augen leuchten. Brauen, Wimpern, Lippen – alles perfekt. Beim allerersten Blick wird er erkennen, wie GUT es ihr geht. Nein, sie will ihm nichts beweisen. Und natürlich will sie ihn auch nicht verführen. Im Gegenteil: sie will ihm und Anja jede Spur von schlechtem Gewissen nehmen. Sie sollen nicht denken, dass sie ihr Glück zu dritt auf Mias Kosten genießen.

Siehst du, das wäre dann ja wohl geklärt, sagt sie und schaut Nestor triumphierend an. Nun muss nur noch das Treffen arrangiert werden. Der Impuls dazu muss natürlich von Finn ausgehen. Aber das ist kein Problem. Sie kennt diesen Mann in- und auswendig. Viel besser, als Anja ihn je kennen wird.

Mia aktivert bei ihrem Smartphone die Rufnummer-Unterdrückung. Dann lässt sie es bei Finn genau dreimal klingeln. Sie weiß, er kann es nicht ertragen, einen Anruf verpasst zu haben. Und wenn er nicht weiß, wer ihn angerufen hat, wird er solange recherchieren, bis er eine Antwort hat.

Tatsächlich dauert es keine 10 Minuten, bis Finn sich bei ihr meldet. „Hast du mich gerade angerufen? Warum ist deine Rufnummer unterdrückt?“ „Das ist sie nicht! Das hab ich noch nie gemacht. Und nein, ich habe dich nicht angerufen. Ich bin gerade auf dem Sprung und wollte zum Weihnachtsmarkt in der Blutenburg.“

„Du hast NICHT angerufen…. Hm.“ Finn kann es nicht ertragen, sich zu irren. „Naja, egal. Ist doch schön, dass wir uns jetzt sprechen! Wir wollten uns doch schon so lange treffen. Hey – was hältst du davon, wenn wir zusammen zur Blutenburg gehen? Wie in alten Zeiten? (Er lacht, und vor Mias Augen schlendern zwei eng umschlungene Gestalten durch den mittelalterlichen Burghof. Probieren Ringe an, essen Waffeln, trinken Glühwein und Punsch. Ja, es gab auch schöne Momente. Aber die wiegen die Schmach nicht auf. Vorbei ist vorbei).

„Ehm…..“ Mia zögert. „Najaaa – und was ist mit Anja?“

„Die ist heute bei ihrer Mutter.“ Ach so. Klar. Finn hat Ausgang. Wer weiß, wie oft er sich so verhalten hat, als wir noch zusammen waren?, fragt Mia sich. Und mit wem er sich getroffen hat? Außer mit Anja?

„Ok. Aber ich wollte gerade losgehen. Ist dir das nicht zu knapp?“

„Nein, das passt prima. Ich bin in ner Viertelstunde am Parkplatz an der Würm. Dann können wir gemütlich am Bach entlanglaufen.“

Gemütlich? Ja! Mit warmen Uggs, dem langen grauen Dauenmantel, rotem Schal und roten Lederhandschuhen, die Locken durch die nebelfeuchte Luft wie mit Diamanten bestreut, die braunen Augen verführerisch geschminkt, ist Maja in Bestform für einen Adventsspaziergang an der romantischen Würm. Finn schaut sie lange an, dann schließt er sie spontan in die Arme. „Du siehst toll aus!“ Große Tropfen hängen an den braunkahlen Zweigen, als hätten sich die Bäume für sie beide geschmückt. Der Bach murmelt und raunt. Am Horzont leckt zartes Abendrot an fransigen Wolken. Und über die Dächer der Kirche und der alten Bauernhäuser schwingt sich ein Weihnachtslied.

„So schön!“, flüstert Mia. Und Finn berührt ihre Wange mit einem sanften Kuss. Dann erzählt er ihr von seinem neuen Leben. Anja hat die Wohnung ausgesucht, die Möbel und das Kinderzimmer. Das Baby wächst und gedeiht – Finn ist sich sicher, es ist ein Junge.

„Da hat sich ja alles verändert, in deinem Leben“, sagt Mia. „Ja,“ sagt Finn. „Manchmal ist mir das richtig unheimlich. Manchmal denke ich, wir zwei….“

„Zu spät“, lacht Mia. „Und außerdem: meinst du, ich hätte weitermachen wollen?“

Finn lacht. Na klar, sagt sein Blick.

Die Blutenburg ist voller Menschen. Alle wollen endlich wieder den Trubel genießen. Die Luft schwirrt von Stimmen und Trompeten, es duftet nach Waffeln, Bratwurst und Gewürzen. Mia und Finn schieben sich durch die Massen. „Ich hol uns einen Glühwein“, sagt Mia. „Für mich nur einen Punsch. Du weißt doch…“ „Hey – ich kenne dich doch! Du, mir ist hier mit den vielen Leuten total warm. Hälst du mal meinen Mantel und den Schal?“

Nach einer Weile drückt Mia Finn einen Becher in die Hand. „Der Punsch ist mega lecker, schmeckt wie Glühwein, probier mal!“ Finn trinkt und lächelt. Mia lächelt zurück. Als er zu husten beginnt, nimmt sie ihn besorgt am Arm und lotst ihn in eine ruhige Ecke. Da ringt er schon nach Luft, aber Mia küsst ihn, und die Umstehenden schöpfen keinen Verdacht. Ees sit sehr schnell vorbei.

Mia lässt FInn zu Boden sinken, versteckt, hinter einer Säule. SIe drückt ihm den Becher in die Hand, schlüpft in den Mantel, wickelt den Schal fest um den Kopf und geht langsam und genießerisch an den bunten Ständen vorbei. Unerkannt und unbekannt.

Am Ausgang hört sie Rufe: „Krankenwagen! Notarzt! Schnell!“ Sie bleibt nicht stehen. Toxische Beziehungen verdienen ein toxisches Ende.

„Er hat es selbst so gewollt. Warum musste er mir von Anja und dem Baby erzählen? Wie dumm von ihm. Er musste doch wissen, dass ich über seine schlimme Sulfitallergie Bescheid weiß. Und darüber, dass er immer sein Spray vergisst. Ich konnte nicht anders, ich musste ihm Glühwein statt Punsch holen. Das verstehst du doch, Nestor?“

Aber die Katze dreht sich von Mia weg und starrt stumm aus dem Fenster. Gottseidank hat sie keine Allergien.

Minikrimi-Adventskalender 2016


Es geht lohooooos!
Na, dachtet Ihr, diese Jahr ist Ebbe mit den Adventskalenderkrimis? Hattet Ihr etwas gehofft. ich überlasse Euch der gemütlichen Kuschelstimmung und das einzige, was knistern würde, wäre der Kamin? Weit gefehlt! Hier kommt also der erste Adventskalender-Minikrimi 2016. Ach ja – teilt Eure Minikrimifreude ruhig mit anderen. Ich freue mich über alle, die sich einklicken, hier. Also…
Tadaaaaaaaaaaaaaaaa!

 

Kein Ferrari... aber eine Explosion
Kein Ferrari… aber eine Explosion

 Minikrimi am 1. Dezember: Eine Familienangelegenheit

„Ich hätte auf meine Mutter hören müssen. Sie hat mir von Anfang an gesagt, dass ich dir nicht vertrauen kann. Dass du ein Mistkerl bist!Du und eine Familie…“
„Ah ja, deine Mamma. Aber dafür, die ganze Hochzeit zu bezahlen, im Schloss, inklusive der Suiten für die Gäste, dafür war der Mistkerl deiner Mamma gut genug?“
„Sie wollte mich eben glücklich sehen…!“
„Und, das warst du doch auch, Mia, cara!“
„Keinen Schritt näher! Diesmal wickelst du mich nicht um den Finger. Ich weiß genau, was du gemacht hast, als du angeblich mit Sandro Billard gespielt hast. Billard! Ha. Du warst mit Sophie zusammen. Wenn die mit Kugeln gespielt hat, dann sicher nicht Billard.“
„Amore, sei nicht so ordinär. Gut, ja, ich war mit Sofia unterwegs. Aber es ist nicht so, wie du denkst…“
„Wie oder was ich denke, das weißt du doch gar nicht. Es hat sich aus-ge-amoret. Du hast mich nur geheiratet, um eine Alibi für deine Eskapaden zu haben.“
„Amore….. sei still. Sprich nicht von Alibi. Du redest dich gerade um Kopf und Kragen…. Was ist, wenn Papà jetzt reinkommt…?“
“ Hör mir auf mit deiner „Ehre“. Ich habe keine Angst vor deinem Vater. Und das werde ich dir beweisen. Auf der Stelle.“
„Cara, wo gehst du hin? Bleib hier. Ich kann dir alles erklären!“

„Aber meine Kleine, was ist denn los? Hat mein Sohn dich verärgert?“
„DU hast mir gerade noch gefehlt! Geh mir aus dem Weg. Ich habe genug von eurer „Familie“.
„Cara, wo willst du hin?“
„Das wirst du schon sehen. Und ich versichere dir, ich werde allen erzählen, wie es bei euch zugeht!“
„Aber Cara, beruhige dich doch. Schau mal, ich habe dir etwas mitgebracht. Ich schlage vor, du machst gleich eine kleine Probefahrt. Und ich bin sicher, dabei werden sich deine Sorgen von alleine zerschlagen.“
„Salvatore! Ein Ferrari! Gut, danke für die „Probefahrt“. Aber denk bloß nicht, dass du mich damit kaufen kannst.“

„Keine Angst, meine Kleine. Das habe ich nicht vor.“
Mit diesen Worten packt Salvatore seinen Sohn am Arm und zieht ihn ins Haus. Der versucht, sich loszureißen, schreit: „Mia, NEIN!“ Und dann, „Papà, halt. Du machst einen Fehler. Sie ist doch nur eifersüchtig….“

Aber da hat Mia bereits den Zündschlüssel umgedreht. Die Explosion ist eines Ferrari würdig.

SMS-Adventskrimi. 9. Dezember: Frisch gebacken.


„Schatz! Sorry –  Stefan. Wir sind doch erwachsen. Manchmal entwickeln sich Menschen eben auseinander. 20 Ehejahre sind ne lange Zeit. Wir sind beide nicht hübscher geworden. Du auch nicht! Und ehrlich, erstens sind die Kids aus dem Gröbsten raus. Zweitens glaube ich nicht, dass es ihnen Spaß macht, mit zwei Eltern zu leben, die sich nur noch auf dem Weg ins Bad oder zum Kühlschrank zufällig begegnen und sich außer Fragen wie : Wo ist die Butter? nichts mehr zu sagen haben.

Die Jungs und ich finden schon ne Wohnung. Klar, ich hänge an dem Haus. Aber wenn du es verkaufen willst….

Ich weiß, du musst los, deine Freundin wartet. Ich bin nicht eifersüchtig! Schau, ich hab euch extra deinen Lieblingskuchen gebacken, zum „Einzug“……. Ciao, Und lasst es euch schmecken!“

Der SMS-Adventskrimi. 7 Dezember: Schneekönigin 2010


Rotglänzend und unübersehbar steht er vor dem Brandenburger Tor. 570 Pferde ziehen ihren Schlitten. Sie ist die Königin des Winterplatzes. Weißer Nerz spielt mit den Lichtern auf den schwarzen Locken, zarte Flocken tupfen ihre Wimpern.

Zu schön für einen Einzigen. Ihr warmes Lächeln nährt in Tausend Augenpaaren heiße Glut. In geiler Lust umtanzen sie die Objektive. Schießen sie rund um den Globus.

Sie findet ihn hinter der Blitzlichtmauer, Verlangen in der blassen Hand. Mit abgewandtem Blick kredenzt er ihr den schmalen Kelch. Sieg und Verlust in einer letzten reichen Geste. Ein Schluck nur und ihr Bild gehört ihm ganz allein.