MiniKrimi Adventskalender am 9. Dezember


Diesen kurzen MiniKrimi habe ich schon 2014 geschrieben und heute nur etwas aufgepeppt. Er passt zum Münchenhimmel, heute, grau und schneebeladen, ahnungsvoll.

Luise und die Elster

Was ist passiert?

Benommen schaut Thea sich um. Das Zimmer dreht sich um seine eigene Achse, und sie lehnt sich an die Wand, um nicht umzukippen.

Wie ist sie hierhergekommen? Eben noch kauerte sie auf dem Kiesboden vor den Stufen, die zur großen, dunklen Haustür führen, und kramte vergeblich in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund. Thea hat die Villa von ihrer Großmutter geerbt, vor knapp einem Monat. Sie soll darin wohnen, das war Großmutters Wunsch. Aber sie ist sich noch nicht sicher, wie sie sich entscheiden wird. Alles ist so fremd, riesengroß, düster und bedrohlich, wie in einer Geschichte von Edgar Allen Poe.

Aber es war eine Elster, kein Rabe, die sie vom bröckelnden Fenstersims aus argwöhnisch beobachtete, bevor sie ihr ein paar gekrächzte Laute hinunterwarf und, als Thea nicht reagierte, energisch das schwarze Federköpfchen schüttelte. Zu spät.

Thea wurde schwarz vor Augen.

Und jetzt steht sie in einem ihr fremden und gleichzeitig entfernt vertrauten Raum. Ein Ankleidezimmer, ganz offensichtlich. In ordentlichen Reihen hängen altmodische Anzüge und Hemden, gegenüber Kleider im Stil der sechziger Jahre, allesamt schwarz. Pullover und Blusen, Socken und Schuhe, alles säuberlich eingeräumt. Es riecht nach Lavendel und Mottenpulver.

Was mache ich hier, fragt sie sich. Da rascheln die Kleider wie von einem plötzlichen Windstoß bewegt, die Röcke schwingen und die Schuhe klappern mit den Absätzen. „Finde die Wahrheit. Tu es für mich“, flüstert die Luft. Ein Nerzmantel schüttelt sich heftig, und aus seinen Falten weht ein kleines Foto heraus. Ein junges Mädchen mit frischem Gesicht, roten Locken und einem adretten Dienstmädchen-Häubchen. Das Foto ist schwarz umrandet, so, wie es früher bei Traueranzeigen üblich war. Luise, 1965, steht auf der Rückseite.

Thea öffnet die Verbindungstür, die zu einem Schlafzimmer führt, und da steht sie . Luise. Das Dienstmädchen-Häubchen liegt am Boden, eine Kaskade roter Locken fällt in rhythmischen Schlägen weich gegen ihren rosigen Rücken. Zwei Hände umklammern ihre nackten Pobacken, und ein Schopf braungrauer Haare schmiegt sich an ihren Hals. Ist es das, was ich sehen soll? Ein lautes, befriedigtes Stöhnen, Schopf und Hände lösen sich von dem Frauenkörper. „Zieh dich an und sag meiner Frau, meine Migräne sei besser geworden, dank ihres Kaffees, und dass ich gleich unten bin.“ Der Mann, der Theas Großvater war, geht in’s Badezimmer und erfrischt sein Gesicht mit Wasser und Parfum. Sie erkennt den Duft ihrer Kindertage. Eine Mischung aus Moschus, Tabak und Zufriedenheit.

Im Schlafzimmer zieht Luise sich die Kleider hoch und steckt die Haare unter das Häubchen. Sie geht zum Fenster und macht es weit auf, beide Flügel. Beugt sich hinaus in die Nacht, hebt das Gesicht zu den Sternen. Was sie wohl denkt? Thea, die unsichtbare Zuschauerin, spürt einen Lufthauch und sieht einen Schatten ins Schlafzimmer gleiten. Schwarze Schwingen erheben sich lautlos hinter Luise, und wie von selbst fällt das Mädchen aus dem Fenster. Der Sturz an sich wäre kaum tödlich gewesen, hätte nicht gerade dort eine Sense an der Hauswand gelehnt, die Klinge nach oben gerichtet.

Ein leises Seufzen, voller Schmerz und Zufriedenheit. Kommt es aus Luises Mund? Oder von dem Wesen in schwarz., das sich aus dem Fenster lehnt und in die Dunkelheit hinunterschaut?

So, denkt Thea. Nun weiß ich also, dass mein Großvater ein Schürzenjäger und meine Großmutter eine Mörderin war.

Und jetzt? „Nichts, es genügt mir, dass es jemanden gibt, der weiß, wie ich wirklich gestorben bin“, flüstert es aus der Kastanie im Hof.

Thea schließt die Augen,. Einen Moment? Eine Stunde? Als sie sie wieder öffnet, kauert sie auf der obersten Steinstufe der alten Familienvilla, in die sie bald einziehen wird. Das weiß sie jetzt. Denn das Unheimliche ist einem Gefühl tiefen Friedens gewichen, so, wie ein Gewitterhimmel, der nach dem Sturm wieder leuchtend blau strahlt.

Über ihr krächzt eine Elster. Ein Windstoß weht ihr in einem leuchtenden Blätterbüschel den Schlüsselbund vor die Füße.

MiniKrimi Adventskalender am 7. Dezember

Magierin mit schwarzen Augen und schwarzem Schleier

Ich bin nicht nur Krimiautorin, ich bin auch Theologin. In der Kombination faszinieren mich biblische Frauengestalten, oder solche in älteren Schriften, z.B. dem Talmud, ganz besonders. Denn die spielen beileibe keine unterwürfigen Rollen. Ganz im Gegenteil. Sie sind mutig, sie sind klug, sie entscheiden die Schicksale ganzer Völker. Und sie sind zudem oft auch richtig sexy. Kein Wunder, dass sie jahrhundertelang unter Theologen kaum Beachtung fanden.

Ich hole sie zurück ins Rampenlicht – und versetze sie und ihre Geschichten in die Gegenwart. Das Ergebnis sind knallharte Thriller, nicht immer mit einem Happy End.

Übrigens: Auch die körperliche Seite der Liebe, der Sex, wurde – nicht nur im Hohelied Salomos – durchaus zelebriert. Doch kaum eine Frauenfigur ist so erotisch deämonisch wie

Lilith

Begleitet mich ins Deutschland am Ende der 1960, Anfang 1970er Jahre. Hier treffen wir ADAM.

Das erste Semester VWL in Berlin war für Adam ein Feuerwerk. Täglich neue Erlebnisse. Cafés, Kneipen, Geschäfte. Menschen mit Kopftuch, mit Turban, mit Irokesenschnitt, mit grünen, braunen oder gar keinen Haaren. Mit Ringen und Bemalungen an allen Körperteilen. Das Einzige, was er von zu Hause kannte, war die Lernroutine.

Und die allabendlichen Sauftouren mit den Kumpanen, jetzt Kommilitonen.


Adam war auf einem großen Gut in Norddeutschland aufgewachsen. Zwischen Weiden, Pferden, Grünkohl und Pinkel. Ungefähr das spannendste Geschehen war gewesen, am Sonntag in der Kirche zu sehen, wer von ihnen die Wette gewonnen hatte, wie blau der Pfarrer diesmal sein würde. Ob er nur die Worte beim Vaterunser verwechselte oder direkt die Altarstufen runterstolperte. Einmal hatte es ihn auf dem Weg nach oben glatt umgehauen!

Und jetzt die Uni. Große Freiheit. Fremde Welt. Politische Aktionen – Leute stellen plötzlich sein Weltbild in Frage, Kapitalismus als Feind. Statt Saufgelagen abendliche Diskussionen, Gitanes Mais und Marihuana.

Und mitten unter ihnen sie. Rothaarig, langbeinig, grünäugig. Sie hatte alles gelesen, was man brauchte, um politisch mitzureden. Marx und Lenin, Adorno, Horckheimer, Marcuse. Und war ganz offensichtlich bei der Lektüre nicht eingeschlafen! Sie schrieb regelmäßig Artikel für den „Anschlag“. Was sie sagte, war Gesetz. Und zwar nicht nur bei den Mädels. Auch die jungen Männer, langhaarig, krausbärtig, mit Schlaghosen, hingen an ihren Lippen.  Wie sie sie aufpeitschte, jedes Mal, bevor sie zu einer Demo gingen. Mit rauer Stimme und diesem Blick, der dich aufspießt, festhält und in dich hineinkriecht. Ganz tief. Bis dir heißt wird und du an ganz andere Dinge denkst als daran, die Flugblätter mitzunehmen und an die Passanten zu verteilen, die Gaffer, die sich die „wilde Generation“ mal von nahem anschauen wollen, wie Affen in einem Zoo.

Adam hatte nur Augen für Lilith, und eigentlich ging er zu den Asta-Versammlungen auch nur wegen ihr. Ob sie ihn überhaupt je bemerkt hatte? Adam wusste es nicht. Bis zu jenem Sonntag.

Zuvor hatte es bei einer Demo einen Toten gegeben. Ein junger Student, Benno Ohnesorg. Jetzt war die Gewalt offen ausgebrochen, und Demonstranten und Polizei gingen wie im Krieg aufeinander los. Was heißt wie: Das WAR Krieg. Straßenkrieg. Und sie, die Studenten, waren die Guten. Die anderen, die Polizisten, gingen mit Wasserwerfern und brutaler Härte vor. Schlagstöcke hagelten auf Frauen nieder, junge Männer wurden getreten, auch, als sie noch am Boden lagen. Sogar Kinder kassierten Schläge.

Die Demonstranten warfen Steine und Molotow-Cocktails. Adam rannte mit den restlichen Flugblättern unterm Arm die Allee hinunter. Hinter ihm drei Polizisten mit erhobenen Schlagstöcken. Da standen plötzlich vor ihm wie aus dem Nichts zwei weitere Beamte, einer davon mit der Waffe im Anschlag. „Das ist alles ein großes Missverständnis“, wollte Adam ihnen entgegenschleudern. „Ich bin der älteste Sohn der Familie von Bredow. In meinen Adern fließt das Blut deutscher Kaiser. Ich muss die Linie weiterführen, ihr dürft mich nicht…“

Da krallte sich eine Hand in seinen Arm, riss ihn in einen engen Hauseingang, ums Eck und eine Kellertreppe hinunter. Stockdunkel. Die Polizisten kamen in den Hof gerannt, schauten sich um – fanden niemanden und liefen weiter.

„Das war knapp, Adam, Süßer“, flüsterte eine raue Stimme. Und dann küsste sie ihn, als wolle sie ihn in sich aufsaugen. Adam war starr vor Schreck, aber nicht lange. Lilith riss ungeduldig an seiner Jeans, schob ihren Rock in die Höhe und setzte sich auf ihn. Mitten im Kohlenkeller wurde Adam entjungfert. So hatte er sich das in unzähligen feuchten Nächten in seinem Bredower Jugendzimmer nicht vorgestellt. Nein, das war besser als in seinen kühnsten Träumen. Was sein Vater wohl dazu sagen würde?

Wenn Adam gedacht hatte, durch diesen Kellersex sei er in einer Beziehung mit Lilith, dann war diese jedenfalls anders, als er sich eine Partnerschaft vorgestellt hatte. Nämlich so, wie bei seinen Eltern und allen anderen Leuten in und um Großosterode. Das hatte der Mann das Sagen, die Frau war zu Hause und wartete auf ihn, hübsch angezogen und mit dem fertigen Essen. Anders bei Lilith. Sie kam und sie ging, wann und wie sie wollte. Eines Tages zog sie bei ihm ein, allerdings ohne ihn gefragt zu haben.

Sie bediente sich an seinem Kühlschrank, an seinem Körper und seinem Geld.


Aber das alles war schon irgendwie ok, für Adam. Denn inzwischen durfte er sie sogar in der Öffentlichkeit küssen. Sie waren ein Paar. Zugegeben, sie stritten sich häufig, vor allem, wenn er nicht wollte, dass sie schon wieder auf eine Demo gingen statt auch mal in die Oper. Kapitalistengesülze, sagte Lilith dazu. Und setze sich durch.

Als Trauzeugen waren zwei Zufallsbekanntschaften mit auf dem Standesamt, und die Unterschriften waren in zwei Minuten erledigt. Adams Vater hatte auf den Anruf seines Sohnes mit der Einladung zur Hochzeit am nächsten Tag nur mit einem „Aha“ reagiert. Und Lilith hatte es wohl niemandem mitgeteilt.

Sie zogen in eine große Altbauwohnung, und schon bald campierten dort regelmäßig ziemlich dunkle, ungewaschene Gestalten. Als Adam eine Waffe im Waschbecken fand und sein Konto in den Miesen, stellte er Lilith zur Rede.

„Ich dachte, wir stehen beide an vorderster Front in diesem Klassenkampf, das ist doch das mindeste, was du tun kannst, um die Schuld deiner Familie zu sühnen“, erklärte ihm seine Frau. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er sie lieben musste. Warum war er sonst mit ihr zusammen? Also ging er mit, als sie vermummt in die Bank einbrachen.

Lilith und die beiden Komplizen verschwanden mit einer Beute von 1000 DM. Adam verstauchte sich beim Sprung aus dem Fenster den rechten Fuß. Sein Vater sagte ihm nie, was es ihn gekostet hatte, die Anklage gegen den Sohn niederzubügeln.

Als er einen Monat später aus dem Krankenhaus kam – bei der Festnahme hatte er ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma erlitten, war die Altbauwohnung leer und Lilith verschwunden. Er suchte nach ihr in all den Kneipen, Cafés, Versammlungsräumen. Nichts. Schließlich steckte ihm ein früherer Kommilitone einen Zettel zu mit einer Adresse auf Cuba.

Es war nicht ganz leicht für Adam, die Reise dorthin zu organisieren. Aber mit Hilfe von ein paar amerikanischen Freunden gelang es ihm doch. Schließlich fand er Lilith. Sie trafen sich in einem Straßencafé, und das erste, was ihm an ihr auffiel, waren die schwarz gefärbten Haare. Das zweite ihr Babybauch. „Ein Kind ist die beste Tarnung“, erklärte sie ihm. José und ich haben schon 500 Mann, alle militärisch ausgebildet und mit den neuesten Waffen. First we take Manhatten, then we take Berlin.“ Sie lachte. Ihre Stimme war so rau wie immer. Dämonisch, irgendwie.

Woher hast Du das Geld dafür? Fragte Adam.

Kannst du dir nicht denken, was? Wieder dieses Lachen. Der Stammhalter der von Bredows muss die Linie weiterführen. Das war deinem Vater ganz schön was wert. Eine Million, um genau zu sein. Er hat sich den legitimen Enkel gekauft. Immerhin sind wir noch verheiratet. Über die näheren Umstände der Befruchtung wollte er nichts wissen. Gleich nach der Geburt bekommt er sein Eigentum. Wenn‘s sein muss, per Luftpost.

Und mit einem angedeuteten Griff an ihre Militärkappe verließ Lilith das Café und Adam. Für immer.

Der Rest ist auch hier Geschichte. Adam heiratete Eva, bekam mit ihr zwei Kinder und sie lebten ein ziemlich langweiliges Leben. Aus dem Paradies hatte eigentlich schon Lilith ihn vertrieben. Denn von ihr träumte er Zeit seines Lebens. Aber nur heimlich.

Jetzt fragt Ihr euch: WAS bitte ist daran biblisch? Bittesehr:

Im Talmud wird berichtet, dass Gott an Adams Seite eine Frau namens Lilith schuf. Sie war diesem völlig gleichberechtigt und ebenbürtig, daher verstand sie sich als ein freies Wesen, dem Unterordnung völlig fremd war.  Ihr stolzes und selbstbewusstes Auftreten, ihre Weigerung, Adam zu dienen, stießen – so der natürlich auch von Männern verfasste Talmud, nicht gerade auf die Zustimmung Gottes, der Adam als Abbild seinesgleichen sah und damit ihren Freiheitswillen als Rebellion gegen sich verstand. Es wird weiterhin erzählt, dass Lilith beim Sex stets oben liegen wollte. Adam aber wollte sich die dominante Position nicht nehmen lassen, und schließlich kam es zum Eklat zwischen den beiden.

Lilith sprach den geheimen Namen des Herrn „Schem Hammephorasch“, eine Zauberformel, aus und flog davon. Auf Adams Flehen hin sandte Gott drei Engel (Sanvi, Sansanvi und Semangelaf) aus, um sie zurückzuholen. Aber Lilith brach nur in schallendes Gelächter aus ob deren Versuche und Adams Wehklagen.

Sie hatte sich an der Küste des Roten Meeres niedergelassen und war mittlerweile eine Verbindung mit dem Dämon Djinns eingegangen, mit dem sie viele Kinder gezeugt hatte. Als Strafe für ihren „Ungehorsam“ ließ Gott jeden Tag 100 ihrer Kinder töten. Vor Trauer wahnsinnig, begann sie nun selbst als kindermordende Dämonin Schrecken und Angst zu verbreiten. Auch soll sie die Schlange im Paradies gewesen sein, welche Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis angeboten hat.

Für Adam, der mit der umgänglichen Eva ein gutes Leben führte, hatte damit das Vergnügen wieder ein Ende. Bekanntermaßen mussten er und Eva aus dem paradiesischen Zustand heraus in die harte Wirklichkeit.

Wollt Ihr mehr über Lilith wissen? Bittesehr:

Die Geschichte von Lilith werdet ihr vergeblich in der Bibel suchen. Überhaupt sind die überlieferten Hinweise zu Lilith recht spärlich und noch dazu stark geprägt vom Zeitgeist. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Jahrtausende lang haben sich die Patriarchen aller Konfessionen redlich Mühe gegeben, Lilith als verteufeltes Weib darzustellen, die sich Männern als verruchte Verführerin und widerspenstige Gottesgegnerin entgegenstellt, um sie vom rechten Weg abzubringen. In die entgegengesetzte Richtung zielen die jüngsten feministischen Bemühungen, Lilith schlicht als Symbol für ihren eigenen Freiheitsdurst und Kampf um Unabhängigkeit zu sehen. Obwohl wir Frauen aus Liliths Geschichte natürlich einiges lernen können, wenn wir sie als potentiellen Teil unserer Persönlichkeit wiederfinden. 

Der Name Lilith wird vom babylonischem Wort Lilitu abgeleitet und bedeutet übersetzt Windgeist. Im Alten Testament (Jesajas 34,14) wird sie als weiblicher Dämon ( die Nächtliche) erwähnt, ihren Ursprung hat sie allerdings eher in der babylonischen Mythologie, wo sie als Lilitu auftritt. Ihre sumerische Entsprechung findet sie in der Kiskil-lilla. Im bereits erwähnten Talmud gilt sie blutsaugendes Nachtgespenst, als ein Weib des Teufels. Die kabbalistische Schrift Sohar zeichnet ihr Bild in den typischen erotischen Fantasien sex- und frauenfeindlicher Männer. Mitunter wird aber auch als göttliches Geschöpf genannt, wie in Griechenland, wo sie sich mit Hekate verband.

Oft wird sie von Kopf bis Nabel als wunderschöne Frau dargestellt, hüftabwärts aber als brennendes Feuer, was ein eindeutiger Verweis auf ihre starke erotische Leidenschaft sein dürfte. Das ihr zugeordnete Tier ist die Eule, die sowohl als Sinnbild der Weisheit, wie auch als Totenvogel gilt.

MiniKrimi Adventskalender am 5. Dezember

Schlafendes Mädchen, hinter ihr eine Fabelwesen-Maske.

Wie bitte?

Ich öffne die Tür einen Spaltbreit, ohne ein zweites Klingeln abzuwarten. Als sie mir ihre Ausweise hinhalten, viel zu nah, als dass ich etwas erkennen könnte, nicke ich freundlich und lächle abwartend. Sekunden vergehen. Dann fragt der Ältere: „Haben Sie gehört, was ich Sie gefragt habe?“ Ich lächle weiter. Freundlich und vage. „Wie bitte?“ Ich kann Lippenlesen, aber das wissen die beiden nicht. Offenbar wissen sie auch nichts von meiner Hörschwäche. Das Wort Schwerhörigkeit mag ich nicht. Es trifft ja nicht eigentlich auf mich zu. Doch auch das weiß keiner. Mehr. Ich greife in die Tasche meiner Jeans, fische die Hörgeräte raus und setze sie ein, sorgfältig, fast ein wenig umständlich. Unverwandt lächelnd, ohne den Türspalt zu verbreitern, frage ich höflich: „Ja?“

Der Ältere schließt die Augen, so kurz, dass ich es mir auch eingebildet haben könnte. Das ist das einzige Zeichen seiner Ungeduld. Mit scheinfreundlicher Stimme wiederholt er, was ich schon beim ersten Mal verstanden habe. „Müller, Kriminalhauptkomissar. Das ist mein Kollege, Kriminalmeister Schmidt.“ Ehrlich jetzt? Müller und Schmidt? denke ich. Wie einfallsreich. Ich nicke. „Frau Brandt, es geht um Ihre Bekannte, Lisa Lemberg. Wir hätten da ein Paar Fragen und würden Sie bitten, uns zu unserer Dienststelle zu begleiten.“

Ich könnte fragen: „Warum?“, könnte sagen: „Nicht ohne meinen Anwalt.“ Oder: „Wie kommen Sie auf mich?“ Stattdessen murmele ich: „Moment, ich sag nur schnell meiner Katze Bescheid“, gehe ins Wohnzimmer und streichele Madame Pompadour über den Kopf. Sie thront teilnahmslos auf ihrem Kissen vor dem Kamin. Nicht einmal eine Katze nimmt Notiz von mir. Aber die Polizei. Fühle ich mich geschmeichelt?!

Ich ziehe mir Daunenjacke und Stiefel an. Dabei sehe ich, dass Kriminalhauptmüller seinen Fuß im Türspalt hat. Soviel unnötige Vorsorge. Ihr Wagen steht direkt vor dem Haus. Kriminalschmidt lenkt uns geschmeidig durch den Nachmittagsverkehr. Dann sitze ich in einem Verhörraum – wahrscheinlich nicht die richtige Bezeichnung, aber sie passt zu mir – mit einer Tasse Beuteltee und Kondensmilch.

„Frau Brandt: wie gut kennen Sie Frau Lemberg? Wann haben Sie sie zuletzt gesehen? Und wo waren Sie letzten Donnerstagnachmittag, so gegen 17.15 Uhr?“ Müller klingt lauernd, während Schmidt‘s Kuli den Takt zu einem Lied klopft, das ich nicht hören kann. Statt Müller zu erklären, dass seine Verhörtaktik erbärmlich ist, antworte ich auf seine Fragen. „Ich kenne Lisa, Frau Lemberg, von der Uni. Seit sie ihre Galerie eröffnet hat, habe ich für sie verschiedene Expertisen gemacht.“  Schmidt zieht die Augenbrauen hoch, und ich sage: „Mit meinen Augen ist alles in Ordnung. Auch mit meinem Gehirn.“ Das setze ich ganz bewusst hinzu.

„Frau Lemberg war eine erfolgreiche Galeristin. Sie haben keine feste Anstellung und leben von Gelegenheitsaufträgen. Waren Sie eifersüchtig?“ Kriminalmüller wieder. Er sollte unbedingt die goldenen Regeln der Vernehmungslehre auffrischen. „Ich arbeite freiberuflich als Expertin für zeitgenössische Kunst. Ich bin nicht so der Teamplayer. Zu großes Verhör-Risiko.“ Ich lächle als Einzige über meine Pointe. „Ich kann mich nicht erinnern, wo ich am Donnerstagnachmittag um fünf war. Die Realität ist kein Agatha-Christie-Roman. Wahrscheinlich war ich daheim und habe gelesen. Oder im Park. Oder im Café…“ „beim Lesen“, fällt Müller mir ins Wort.

„Um es abzukürzen, Frau Brandt. Ihre Freundin wurde zwischen 17 und 17.30 Uhr mit einer Skulptur von Kara Walker erschlagen, für die Sie eine Expertise erstellt haben. Eine falsche Expertise. Denn bei der Skulptur handelt es sich um eine Kopie. Gut gemacht, aber dennoch… Und“, fährt er fort, als ich zu einer Entgegnung ansetze, „Sie wurden um 17.15 am Tatort gesehen. Eine Zeugin hat sie zweifelsfrei identifiziert, als Sie hier vor dem Präsidium aus dem Auto gestiegen sind.“

Ich schaue Müller an. Der Mann überrascht mich. Nicht. „Wer ist die Zeugin?“ „Das darf ich Ihnen nicht sagen. Aber sie ist sich sicher. Ich muss sie leider hierbehalten. Frau Brandt, sie sollten Ihren Anwalt kontaktieren. Wir stellen Ihnen gerne einen Gebärdendolmetscher zur Seite.“

Natürlich. Sie ist schwerhörig, sie steht unter Mordverdacht. Aber sie ist eine Brandt. Da darf man sich als kleiner Beamter keinen Schnitzer erlauben. Unser Familienanwalt erscheint mit einer Dallmayr-Tüte: Pastrami-Sandwiches und eine eiskalten Flasche Haku-Vodka. Imposant. „Was kann ich für dich tun?“ Als er nach einer Viertelstunde zurückkommt, habe ich den Vodka nicht mal halb ausgetrunken.

„Frau Brandt. Sie können gehen.“ Müller würgt die Worte heraus, in einer Wolke aus Wut und Resignation. „Warum haben Sie uns verschwiegen, dass Sie zur Tatzeit im Café Wunderwelt waren, drei große Gin Tonic getrunken und auf dem Weg ins Bad den Weihnachtsbaum samt mundgeblasenen Kugeln umgeworfen haben?“ „Das war mir tatsächlich entfallen. Wissen Sie, unter Anspannung leide ich manchmal unter Blackouts. Aber jetzt ist ja alles geklärt. Es wird kaum eine zweite Person mit meinem Gesicht zeitgleich in Lisas Galerie gewesen sein. Schade. So eine besondere Galeristin. Adieu.“

Draußen schüttele ich dem Familienanwalt die Hand, nehme die Hörgeräte raus und genieße den Heimweg in wohltuender Stille.

Im Wohnzimmer thront Madame Pompadour auf dem Kissen vor dem Kamin neben Esther, meiner besten, einzigen Freundin. Meinem Spiegelbild. „Hallo Du, hat‘s geklappt?“ fragt Esther, und ihre Augen glitzern mit denen der Siamkatze um die Wette.

„Perfekt,“ lächle ich. „Du kannst die Kontaktlinsen jetzt rausnehmen. Ich finde deine grauen Augen anziehender. Meine Haarfarbe steht dir allerdings besser als dein natürliches Mausgrau. Und…“ – ich bücke mich, um dem auf mich zufliegenden Kissen zu entgehen – „wir sollten die Latexmaske ganz schnell entsorgen. Sie hat ihre Schuldigkeit getan, und wir wollen doch nicht, dass sich jemand anders mit meinem Gesicht in der Wunderwelt mit Gin Tonic betrinkt. Gottseidank ist Müller nicht so schlau, wie er tut. Warum bist du nicht beim Haku geblieben? Als würde ich jemals Gin Tonic trinken.“

„Eben! So haben sich wenigstens alle an „deinen“ Auftritt erinnert. Und ich habe immer noch Kopfschmerzen.“

„Dann nimm eine Tablette. Wenn wir morgen die Statue verkaufen, müssen wir beide einen klaren Kopf behalten.“

„Warum hast du das gemacht? Lisa erschlagen? Ums Geld geht’s dir doch nicht.“

„Nein. Sie – wusste einfach zu viel. Über mich. Mein Gehör. Und mein – Gehirn.  Es war doch ein genialer Plan. Ich bin ein Genie. ODER?“ Ich weiß, Esther wird mir nie widersprechen.

MiniKrimi Adventskalender am 4. Dezember


Mach es uns doch nicht so schwer, Baby!

Der Nebel hängt seit Tagen so tief, dass sich die Dunkelheit schon am frühen Nachmittag auf die Häuser senkt. Eigentlich hat sie gar keine Lust, nochmal raus zu gehen. Der Arbeitstag war anstrengend. Sie hat das Gefühl, dass Kunden und Kollegen immer ungeduldiger werden, Jahr für Jahr. Oder verliert nur sie selbst immer schneller die Geduld? Sie schält sich aus Schal, Mütze, Mantel und zieht die Schuhe aus. Jetzt ein Bad und dann vor den Fernseher legen. „Sport ist besser als jede Pille“, erzählt der Moderator gerade. Da packt sie das schlechte Gewissen. Sie wird nur eine kleine Runde laufen, denkt sie. Und springt Minuten später in ihrer Joggingkluft die Treppen runter.

Das Wäldchen liegt direkt gegenüber, auf der anderen Seite der kleinen Kopfsteinpflasterstraße. Ein paar Laternen gießen gelbes Licht auf die Konturen grauer Bäume, dazwischen lauern schwarze Löcher. Die Luft ist dick wie Zuckerwatte und dämpft die wenigen Geräusche. Um diese Zeit und bei diesem Wetter ist die Wohngegend wie ausgestorben. Sie schaltet ihren Pulszähler ein und läuft los. Taucht in den Wald ein, und die dunkle Stille schließt sich hinter ihr. Der Nebel zieht Fäden zwischen den Stämmen und Ästen, braunes Laub erstickt jeden Schritt. Einsamer als hier kannst du nicht sein, sagt sie sich, und der Gedanke kauert unangenehm auf ihrer Schulter.

Links hinter sich hört sie einen Laut, ein Rufen? Ein Bellen? Sie dreht sich im Laufen um, kann nichts erkennen, nur eine verdichtete Dunkelheit zwischen den Buchen. Sie läuft weiter. Da. Wieder. Jetzt schlägt sie einen Haken, biegt vom Hauptweg ab auf einen kleinen Pfad. Ein toter Stamm, von Efeuarmen umfangen, bietet ihr Schutz, sie bleibt stehen. Versucht, das wabernde Zwielicht zu durchdringen. Kühle Tropfen auf ihren Wimpern. Schweiß? Jetzt hört sie ganz deutlich das Knacken von Ästen. Ein unterdrückter Fluch. Sie atmet aus, pfeifend. Und fühlt, wie auch der andere stehen bleibt. Witterung aufnimmt. Von ihr. Sie stößt sich vom Baumstamm ab und rennt los. Füße suchen flüchtigen Halt, gleiten über Steine, bleiben an Wurzeln hängen. Und wie dumpfes Trommeln das Echo fremder Schritte auf ihrer Spur.

„Hey. Nicht weglaufen. Das bringt doch nichts. Bleib stehen. Verdammt nochmal. Ich erwisch dich trotzdem. Mach es uns beiden doch nicht so schwer, Baby.“

Davor haben ihre Freundinnen sie immer gewarnt. Ihre Mutter. Lauf bloß nicht im Dunkeln allein durch den Wald! Aber sie hat ja keine Angst. Was soll ihr schon passieren? Ja, was? Gleich wird sie es erleben. Die Schritte kommen näher, er ist schneller als sie. Scheint den Wald zu kennen wie seine Westentasche. Denn als sie über einen morschen Ast stolpert, der vor ihr aus dem Boden wächst, steht er vor ihr und greift hart nach ihrem Arm. Das war’s, denkt sie noch, als sie ins Unvermeidliche stürzt.

Etwas Schweres, Nasses wirft sich über sie. Ein modriges Fell, ein stinkender Sack? Der Geruch nach Fäulnis und Verwesung nimmt ihr die Luft. Und dann seine Stimme. Wütend. Erregt.

„Baby, sitz! Lass die Frau in Ruhe! Pfui, wo hast du dich denn wieder gewälzt? Das war das letzte Mal, das ich ich dich hab laufen lassen. Sitz, hab ich gesagt.“ Und dann, zu ihr gewandt,mit einer Mischung aus Erleichterung und Scham: „Seit einer Stunde such ich das Miststück schon hier im Wald. An Abenden wie diesem ist sie völlig von der Rolle. Sieht so aus, als hätten sie sie zufällig gefunden. Danke! Oh, sie hat sie ganz schmutzig gemacht! Tut mir leid! Ich zahle natürlich die Reinigung.“

Sie rappelt sich wortlos auf und rennt davon. Hinter ihr kämpft der  Besitzer noch eine Weile mit seiner störrischen Setterhündin.

MiniKrimi Adventskalender am 3. Dezember


Toxischer Advent

Wenn Mias Stimmung wetterabhängig wäre, hätte sie sich heute gleich nach dem Aufstehen und dem ersten Blick aus dem Fenster wieder unter die Bettdecke verkrochen und den Tag damit verbracht, Netflix zu durchstöbern.

Aber so ist sie nicht. Sie kann jedem Wetter etwas abgewinnen. Nicht umsonst hat sie jahrzehntelang das Credo ihrer Mutter angehört. „Change it, leave it or love it.“ Tiefe Nebelbänke über den Wiesen? Feuchtbraune Blätterhaufen am Straßenrand? Klumpige Wegfurchen, in denen sie mit ihren Profilsohlen zentimetertief einsinkt? Glänzendgraue Straßen, auf denen sich die Lichter spiegeln, noch um 10 Uhr morgens?

Das ideale Wetter für ein freundschaftliches Gespräch mit Finn. Das hat sie ohnehin schon viel zu lange vor sich hergeschoben. Wahrscheinlich denkt er, sie leide unter der Trennung. Vielleicht glaubt er sogar, sie fühle sich verlassen? Oder, die schlimmste Möglichkeit – und gleichzeitig die Finn-typischste: Er liest ihre bisherige Zurückhaltung als Schuldeingeständnis. In seinen Augen, in seinem Denken, nein, in seiner Überzeugung hat er schließlich nur die Reißleine gezogen und sich aus einer toxischen Beziehung gerettet, in der er jeden Tag bevormundet und gedemütigt wurde.

Finn, also. Meinst du wirklich, dass du dafür schon bereit bist?, fragt ihre Katze Nestor mit kritischem Blick. Bist du komplett über alles hinweg? Die Ohrfeige? Der zerstörte Laptop? Der Fake-Anruf bei deinem Chef, der dich den Job gekostet hat? Ja, alles verarbeitet? Und dass Finn jetzt mit Anja zusammenlebt, ihrer – ehemaligen – besten Freundin? Mit der er ein Kind erwartet (während Mia mit ihm nur eine Katze haben durfte)?

Alles vorbei. Nicht vergessen, nein. Aber von gestern, halt. Und zwar sowas von. Toxisch. Ja, Das war sie wohl gewesen, diese große Liebe. Gift für sie und ihr Selbstwertgefühl. Seit der Trennung geht es ihr viel besser. Und das will sie Finn unbedingt zeigen. Ein Blick in den Spiegel: Kastanienbraune Locken fallen lang über die Schultern. Die Augen leuchten. Brauen, Wimpern, Lippen – alles perfekt. Beim allerersten Blick wird er erkennen, wie GUT es ihr geht. Nein, sie will ihm nichts beweisen. Und natürlich will sie ihn auch nicht verführen. Im Gegenteil: sie will ihm und Anja jede Spur von schlechtem Gewissen nehmen. Sie sollen nicht denken, dass sie ihr Glück zu dritt auf Mias Kosten genießen.

Siehst du, das wäre dann ja wohl geklärt, sagt sie und schaut Nestor triumphierend an. Nun muss nur noch das Treffen arrangiert werden. Der Impuls dazu muss natürlich von Finn ausgehen. Aber das ist kein Problem. Sie kennt diesen Mann in- und auswendig. Viel besser, als Anja ihn je kennen wird.

Mia aktivert bei ihrem Smartphone die Rufnummer-Unterdrückung. Dann lässt sie es bei Finn genau dreimal klingeln. Sie weiß, er kann es nicht ertragen, einen Anruf verpasst zu haben. Und wenn er nicht weiß, wer ihn angerufen hat, wird er solange recherchieren, bis er eine Antwort hat.

Tatsächlich dauert es keine 10 Minuten, bis Finn sich bei ihr meldet. „Hast du mich gerade angerufen? Warum ist deine Rufnummer unterdrückt?“ „Das ist sie nicht! Das hab ich noch nie gemacht. Und nein, ich habe dich nicht angerufen. Ich bin gerade auf dem Sprung und wollte zum Weihnachtsmarkt in der Blutenburg.“

„Du hast NICHT angerufen…. Hm.“ Finn kann es nicht ertragen, sich zu irren. „Naja, egal. Ist doch schön, dass wir uns jetzt sprechen! Wir wollten uns doch schon so lange treffen. Hey – was hältst du davon, wenn wir zusammen zur Blutenburg gehen? Wie in alten Zeiten? (Er lacht, und vor Mias Augen schlendern zwei eng umschlungene Gestalten durch den mittelalterlichen Burghof. Probieren Ringe an, essen Waffeln, trinken Glühwein und Punsch. Ja, es gab auch schöne Momente. Aber die wiegen die Schmach nicht auf. Vorbei ist vorbei).

„Ehm…..“ Mia zögert. „Najaaa – und was ist mit Anja?“

„Die ist heute bei ihrer Mutter.“ Ach so. Klar. Finn hat Ausgang. Wer weiß, wie oft er sich so verhalten hat, als wir noch zusammen waren?, fragt Mia sich. Und mit wem er sich getroffen hat? Außer mit Anja?

„Ok. Aber ich wollte gerade losgehen. Ist dir das nicht zu knapp?“

„Nein, das passt prima. Ich bin in ner Viertelstunde am Parkplatz an der Würm. Dann können wir gemütlich am Bach entlanglaufen.“

Gemütlich? Ja! Mit warmen Uggs, dem langen grauen Dauenmantel, rotem Schal und roten Lederhandschuhen, die Locken durch die nebelfeuchte Luft wie mit Diamanten bestreut, die braunen Augen verführerisch geschminkt, ist Maja in Bestform für einen Adventsspaziergang an der romantischen Würm. Finn schaut sie lange an, dann schließt er sie spontan in die Arme. „Du siehst toll aus!“ Große Tropfen hängen an den braunkahlen Zweigen, als hätten sich die Bäume für sie beide geschmückt. Der Bach murmelt und raunt. Am Horzont leckt zartes Abendrot an fransigen Wolken. Und über die Dächer der Kirche und der alten Bauernhäuser schwingt sich ein Weihnachtslied.

„So schön!“, flüstert Mia. Und Finn berührt ihre Wange mit einem sanften Kuss. Dann erzählt er ihr von seinem neuen Leben. Anja hat die Wohnung ausgesucht, die Möbel und das Kinderzimmer. Das Baby wächst und gedeiht – Finn ist sich sicher, es ist ein Junge.

„Da hat sich ja alles verändert, in deinem Leben“, sagt Mia. „Ja,“ sagt Finn. „Manchmal ist mir das richtig unheimlich. Manchmal denke ich, wir zwei….“

„Zu spät“, lacht Mia. „Und außerdem: meinst du, ich hätte weitermachen wollen?“

Finn lacht. Na klar, sagt sein Blick.

Die Blutenburg ist voller Menschen. Alle wollen endlich wieder den Trubel genießen. Die Luft schwirrt von Stimmen und Trompeten, es duftet nach Waffeln, Bratwurst und Gewürzen. Mia und Finn schieben sich durch die Massen. „Ich hol uns einen Glühwein“, sagt Mia. „Für mich nur einen Punsch. Du weißt doch…“ „Hey – ich kenne dich doch! Du, mir ist hier mit den vielen Leuten total warm. Hälst du mal meinen Mantel und den Schal?“

Nach einer Weile drückt Mia Finn einen Becher in die Hand. „Der Punsch ist mega lecker, schmeckt wie Glühwein, probier mal!“ Finn trinkt und lächelt. Mia lächelt zurück. Als er zu husten beginnt, nimmt sie ihn besorgt am Arm und lotst ihn in eine ruhige Ecke. Da ringt er schon nach Luft, aber Mia küsst ihn, und die Umstehenden schöpfen keinen Verdacht. Ees sit sehr schnell vorbei.

Mia lässt FInn zu Boden sinken, versteckt, hinter einer Säule. SIe drückt ihm den Becher in die Hand, schlüpft in den Mantel, wickelt den Schal fest um den Kopf und geht langsam und genießerisch an den bunten Ständen vorbei. Unerkannt und unbekannt.

Am Ausgang hört sie Rufe: „Krankenwagen! Notarzt! Schnell!“ Sie bleibt nicht stehen. Toxische Beziehungen verdienen ein toxisches Ende.

„Er hat es selbst so gewollt. Warum musste er mir von Anja und dem Baby erzählen? Wie dumm von ihm. Er musste doch wissen, dass ich über seine schlimme Sulfitallergie Bescheid weiß. Und darüber, dass er immer sein Spray vergisst. Ich konnte nicht anders, ich musste ihm Glühwein statt Punsch holen. Das verstehst du doch, Nestor?“

Aber die Katze dreht sich von Mia weg und starrt stumm aus dem Fenster. Gottseidank hat sie keine Allergien.

MiniKrimi Adventskalender am 2. Dezember


Was sind schon Frauen?

„Jerome, ich habe einen großen Wunsch an dich. Und ich weiß, du wirst ihn erfüllen. Denn das ist mein Vermächtnis: ich will, dass du es im Leben zu etwas bringst. Du sollst studieren, Medizin oder Jura. Damit du ein gutes Leben hast.“

Er muss nicht lesen, was auf den lange vergilbten Seiten steht. Er kennt jedes Wort. Hat das Buch hunderte Male durchgeblätter,t, diesen einen Schatz, den seine Mutter für ihn vor ihrem Tod geschrieben hat. Erinnerungen an sie, an die Heimat, an ihr gemeinsames Leben.

Mit dem Daumen streicht er liebevoll über das Gesicht der Frau auf dem ausgebleichten Foto. Dünn ist sie da schon, vom Tod gezeichnet, dem Preis für ihre Beziehung zum Gutsverwalter Mbabazi.  Zur Belohnung für ihre „Dienste“ hatte er Jerome zur Schule geschickt. Und ihm immer etwas zu essen gegeben. Das war mehr als die meisten anderen Kinder im Dorf Iganga hatten. Aber seine Mutter hatte diese Privilegien mit ihrem Leben bezahlt. Wie unendlich viele afrikanische Frauen, die von Männern aufgrund ihrer sexuellen Aktivitäten mit AIDS angesteckt wurden.

Nach dem Tod der Mutter stürzte sich Jerome ins Lernen und leitete die stille Wut, die in ihm brodelte, in Energie und Leistung um. Als Mbabazi den Jungen aufs Feld schicken wollte, um seinen Unterhalt zu verdienen, schritt der Leiter des kleinen Schulzentrums ein. Seine Frau und er adoptierten Jerome. Da waren die beiden schon in den Fünfzigern, und als sie nach seiner Pensionierung zurück nach Amerika gingen, nahmen sie Jerome selbstverständlich mit. 

Er beendete die Highschool, danach das College und verließ die Harvard-Universität mit einem Prädikatsexamen in Jura. 

Heute ist Jerome ist Juniorpartner einer angesehenen Kanzlei in Chicago. Seine Wurzeln aber hat er nie vergessen. Seine Adoptiveltern haben immer wieder mit ihm gemeinsam im Memory Book gelesen, das seine Mutter für ihn gemacht hat, Anfang des neuen Jahrtausends. Sie haben in ihm die Liebe zu Afrika wach gehalten und genährt. In seiner Kanzlei ist er zuständig für Wirtschaftsverträge zwischen amerikanischen Firmen und Partnern in Afrika. Er möchte etwas zurückgeben von dem, was seine Mutter ihm hinterlassen hat. Liebe und Achtung. 

Das Telefon unterbricht Jeromes Tagtraum. „Mister Miller, brauchen Sie noch etwas für Ihren Termin für die Verhandlungen von Stevenson Inc. mit der Ugandischen Regierung? Dolmetscher, zum Beispiel?“ „Nein, danke, Grace. Englisch ist neben Suaheli Amtssprache, ich komme gut zurecht.“ Jerome lächelt. Er bezweifelt, dass seine Sekretärin über seine Herkunft und seinen Werdegang informiert ist. Wozu auch? Behutsam legt er das kostbare Buch zurück in die oberste Schublade seines Mahagoni-Suhreibtisches. In Iganga hatten sie alle zusammen nur einen klapprigen Holztisch, an dem wurde gegessen, gearbeitet – und oft, nach dem langen Heimweg von der Schulweg durch die sirrende Hitze, auch geschlafen. 

Ja, er hat einen langen Weg hinter sich. Von Iganga nach Chicago. Einen erfolgreichen Weg. Und jetzt setzt er sich dafür ein, dass Kinder wie er in ihrer Heimat ein besseres Leben führen können. 

Er ist gespannt auf die Vertreter der ugandischen Regierung. Angeblich sind sie von der Premierministerin Nabbanja persönlich ausgesucht worden. Er weiß, dass Zeit in seiner Heimat anders bewertet wird, und hat Rogers und Jennings von Stevenson Inc. entsprechend gebrieft. Als sich eine Stunde nach dem vereinbarten Termin die Tür zum Sitzungsraum öffnet, lächeln die beiden nur freundlich erleichtert.

Aber niemand hat Jerome auf den Schock vorbereitet, der ihn bei der Begrüßung der Männer aus Uganda trifft.

Er ist alt geworden, das Haar schütter und weiß. Er ist kleiner, drahtiger. Aber Jerome würde ihn immer und überall erkennen. Mbabazi, den Mörder seiner Mutter! Er bringt die Verhandlungen hinter sich wie ein Schlafwandler. Schweiß steht auf seiner Stirn, er ist sich sicher, dass alle Anwesenden wissen müssen, was in ihm vorgeht. Aber sie bleiben entspannt. Mbabazi erkennt in Mister Miller ganz offensichtlich nicht den kleinen Jungen aus Iganga, Malaikas Sohn, dem er die Mutter genommen hat. 

„Diesen Abschluss müssen wir unbedingt feiern“, sagt Jerome zu Mbabazi. „Ich kenne da eine ganz besondere Bar, die wird Ihnen gefallen.“ Mbabazis Kollege entschuldigt sich. Doch Jerome hat den Alten richtig eingeschätzt. Es gibt Züge im Charakter eines Menschen, die verändern sich nie. 

Die Bar ist angenehm dunkel, auf der Tanzfläche räkeln sich junge Mädchen. Jerome geht hier nie alleine hin, nur, wenn er bestimmte Kunden begleiten muss. Nach einigen Whiskys wirdv Mbabazi redselig.  Erzählt von seiner Vergangenheit. Wie er 2006 als Gutsverwalter eines amerikanischen Farmers plötzlich krank wurde. Und dass sein Boss so große Stücke auf ihn hielt, dass er ihn zur Behandlung nach Amerika schickte. „Wie sie sehen: ich habe überlebt! Und ich sage Ihnen, ich genieße mein zweites Leben in vollen Zügen!“

„Und die Frauen, die sich angesteckt haben? Sicher haben sie Frauen angesteckt?“ „Mein Schohn“ – Mbabazis Aussprache beginnt zu verwischen – mein Schohn: Was sind schon Frauen? Was bedeutet ihr Leben?“ „Ja, was?“ , fragt Jerome und verzieht sein Gesicht zu einem höhnisch grausamen Grinsen.

Chicago ist immer belebt, auch nachts. Taxis drängeln sich auf den Spuren, überholen auf der Jagd nach Kunden. Mbabazi ist diesen Trubel nicht gewöht. In Kampala geht es ruhiger zu. Jerome greift nach dem Arm des Alten, als er unvermittelt die Fahrbahn betritt, genau vor einem großen schwarzen Wagen.

„Ich konnte ihn nicht halten“, wird er später der Polizei sagen, Erschütterung im Blick. Niemand hat gesehen, dass er den Mann nicht gehalten, sondern gestoßen hat.

Info:

Memory Books entstanden in Uganda. Rund 40 Tausend aidskranke Mütter schrieben sie für ihre Kinder, damit sie sich an sie und ihre Familie erinnern sollten, wenn die Mütter tot waren. In den Büchern stand immer auch der Wunsch, dass das Kind lernen und einen guten Beruf ergreifen sollte.

Wenn Ihr mehr über die Memory Books erfahren wolltm empfehle ich euch den ergreifenden preisgekrönten Film von Christa Graf als Video, Blue Ray oder bei Amazon Video Stream.


Abkühlung mit Spannungsfaktor


Zu heiß? Am 24.7. um 17 Uhr gibt’s eine spannende Abkühlung. Ich lese aus meinem Trüffel- Krimi Miniataurus und entführe euch dazu in die Frische des Fünf-Seen-Landes und nach San Miniato.

Und zwar auf einem Schiff, hoch über München, der „Alte Utting“. Neugierig? Ich freu mich auf Euch!

Die Lesung wird von den Mörderischen Schwestern in Bayern organisiert Im Link gibts alle Details.

Adventskalender MiniKrimi am 8. Dezember


Künstlerpech

Es sah aus, aus würde sie schweben. Die schlanken Beine lässig übereinandergeschlagen, beide Handflächen fest auf die lichtbleichen Steine gelegt, der Oberkörper ein gelber Farbtupfer im gleißenden Blau. Der Horizont nicht mehr als eine schaumige Linie. Sie saß auf einer verwitterten Mauer mit dem Rücken zur Sonne, zu ihren Füßen sattgrünes Gras. Der Kopf war nach hinten geneigt, die Augen versteckt hinter einer geschwungenen Sonnenbrille, der karmesinrote Mund im Lachen geöffnet. Eine leichte Brise spielte mit ihren schulterlangen blonden Locken.

Francois Simonds trat zurück, den Pinsel zwischen den Zähnen, sein Blick wanderte schnell zwischen Bild und Modell hin und her. Und er wusste, dass er unfassbar, unheilbar, unrettbar verliebt war. In das Modell, in die Sonne Südfrankreichs, in das Meer – aber vor allem in sein Bild und ja, in sich selbst. Sein Pinselstrich, die Art, wie er das Licht einfing, den Seidenschimmer ihrer Haut – er war einer der ganz Großen. Es war nur eine Frage der Zeit, da war er sich sicher, bis er in den besten Galerien in Paris hängen würde. Bei Polka, Perrotin oder sogar Gagosian.

„Fertig, mon amour?“, fragte Eloise, sein Modell, seine Muse, seine Geliebte. „Mir tut jeder Muskel weh, ich habe sicher schon einen Sonnenbrand auf den Schultern – und überhaupt keine Lust mehr.“

„Ganz kurz noch! Das Bild muss perfekt sein. Ja, das wird es. Perfekt! Was ist dagegen schon ein bisschen Muskelkater?“

Eloise öffnete ihren Schmollmund. „Ok, aber nur noch fünf Minuten“, stöhnte sie, warf ihm einen Luftkuss zu, reckte und streckte sich. Francois hob die Hand mit dem Pinsel, kniff die Augen zusammen, schaute auf das Bild, dann auf seine Geliebte. „Du sitzt ganz anders! Dreh dich nach links, nein, nicht so weit. Wieder zurück! Ach, merde! So geht das nicht!“, schrie er unvermittelt, schleudert Pinsel und Palette auf den Boden, riss das Bild von der Staffelei und stürmte davon, den steilen Felsenpfad von der Zitadelle hinab zum Strand. 

Am frühen Abend wollte die Polizei von Eloise wissen, wann genau sie Francois zum letzten Mal gesehen hatte. Zwei Stunden zuvor war die junge Frau barfuß, mit zerkratzen Armen und Beinen, aufgeplatzter Lippe und geschwollener Wange im vollbesetzten Standcafé aufgetaucht, weinend und zitternd. Nachdem die Wirtin ihr ihre Wolljacke um die Schultern gelegt und ein Glas Pernod in die Hand gedrückt hatte, hatte Eloise darauf bestanden, die Polizei zu verständigen. Der Maler Francois Simond habe sie gerade im Rondell auf der Zitadelle angegriffen und geschlagen. Sie habe sich losgerissen und sei den Felsenpfad hinunter zum Strand gerannt. Francois habe sie verfolgt, aber nicht eingeholt. 

Jetzt hatte sie plötzlich Angst, dass ihm etwas zugestoßen sei. Wo war er? Und wo ihr Porträt, an dem er gemalt hatte?

Die Polizei leitete eine Suchaktion ein, und schon kurze Zeit später wurde die Leiche des Malers am Fuß der Steilküste zwischen den Klippen gefunden. Von dem Bild aber fehlte jede Spur.

„Mademoiselle, Sie haben Schreckliches durchgemacht. Es tut mir unendlich leid, aber ich muss Sie bitten, mir noch einmal genau zu berichten, was heute Nachmittag vorgefallen ist.“ Commissaire Verlaine war ein runder, freundlicher Mann mit Geheimratsecken und einem zerknitterten Leinenanzug. Er erinnerte Eloise entfernt an ihren Vater, und sie vertraute ihm. Sie seien am späten Vormittag zur Zitadelle aufgebrochen, weil Francois ihr Porträt vollenden wollte. Es sei der ideale Tag dafür, das ideale Licht. Nach zwei Stunden ungefähr habe sie keine Kraft mehr gehabt – das reglose Sitzen habe sie angestrengt. Francois habe das nicht verstanden, habe einen seiner Wutausbrüche bekommen und sei davongestürmt, kurz darauf aber wiedergekommen. Er habe noch ein paar Stunden weitergemalt und dabei immer wieder Cognac getrunken – er habe stets eine Flasche dabeigehabt, zur Inspiration. Aber der Alkohol habe ihn aggressiv gemacht, und als ihr Handy geklingelt habe, sei er ausgerastet. Er sei leider sehr eifersüchtig gewesen und unsicher wegen des großen Altersunterschieds. Er habe sie geschlagen, sie habe sich gewehrt, sei ihm davongelaufen, hinunter zum Strand und den vielen Menschen, wo sie sich sicher fühlte. Danach hatte sie ihn nicht mehr gesehen. 

Commissaire Verlaine begleitete Eloise persönlich nach Hause. 

Nach der Testamentseröffnung besuchte er sie in SImonds Villa und beglückwünschte sie dazu, dass Simond sie zu seiner Haupterbin eingesetzt hatte. Sie schien über seinen Besuch ehrlich erfreut und servierte ihm Kaffee im Salon. Über dem Kamin hing ein Porträt von ihr, in leuchtend gelber Bluse vor blauem Meer. „Ist das nicht im Rondell der Zitadelle?“, fragte Verlaine. „Ja, das stimmt. Er hat das Motiv immer wieder gemalt, es war wie besessen von dem Platz,“ sagte Eloise. „Aber das Porträt, an dem er am Tag seines Todes gemalt hat, ist nie wiederaufgetaucht?“ „Nein, leider. Es war perfekt.“

Am nächsten Morgen stand Verlaine mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Villa. Er nahm das Porträt in Gewahrsam – und auch Eloise. Die gelbe Bluse hatte Francois erst am Tag vor seinem Tod für seine Geliebte gekauft. Und die Sonne stand auf dem von der Kunstwelt gefeierten Bild im Zenit. Eloise hatte gelogen. Und den eifersüchtigen Maler schon mittags von den Klippen gestoßen. 

„Die blonde Mörderin“ wurde in der Galerie Gagosian ausgestellt und zu einem Sensationspreis verkauft. Der Erlös ging an einen Verein zur Förderung verarmter Künstler*innen.

Adventskalender MiniKrimi am 5 .Dezember


Catch me if you can

(Die Texte stammen größtenteils aus einer tatsächlichen Unterhaltung, die ich mit einem Romance Scammer geführt habe. Ich recherchiere seit geraumer Zeit zu diesem Thema)

An einem Sommerabend vor 6 Monaten:

Mark Reinhart hat dir eine Freundschaftsanfrage geschickt.

WTF ist Mark Reinhart? Aha, aus Frankfurt. Alter Bekannter? Neuer Fan? Hm. Nettes Profilbild. Ah. Geschieden. Dann nehme ich die Freundschaft mal an. 

Keine 10 Sekunden später eine neue Nachricht:

Hallo, guten Abend. Schön, dich kennenzulernen. Wie geht es dir im Moment? 

Hallo auch. Im Moment geht’s mir ganz gut. Und selbst?

Danke der Nachfrage. Nun, ich unterhalte mich gerade mit dir und bin dabei, dich kennenzulernen. Das ist sehr schön.

Ok. Aber wie bist du auf mich gekommen?

Ich habe Ihr Profil gesehen, und Sie haben mir gefallen, weil Sie eine schöne Frau sind.

Ah. Daher weht der Wind. Was für ein Glück!

Danke für die Blumen. Ich habe mir auch dein Profil angesehen – und ich denke, du bist ein Romance Scammer. Habe ich recht?

Okay, meine Liebe. ich sage Ihnen mit so viel Selbstachtung und Höflichkeit, dass Sie viel Respektlosigkeit zeigen, wenn Sie so von mir denken. Meine ganze Absicht war nur, einen großartigen Geist wie dich zu kennen. Aber ich frage mich wirklich, woher diese Frage kommt, weil ich es als Missachtung meiner Persönlichkeit sehe. Ich bin Chirurg und leite eine Abteilung für freie Medizin in einem Krankenhaus in Aleppo. Ich arbeite dort für die UN.

Wow. So ein langer Text. Das ist vielversprechend!

Ich will dir sagen, woher meine Frage kommt. Letztes Jahr hat sich eine Freundin von mur umgebracht, nachdem ein Romance Scammer sie erst um 10 Tausend Euro betrogen und ihr dann das Herz gebrochen hat. Sie hat Selbstmord begangen. Seitdem recherchiere ich, um die Leute zu finden, die ihr das angetan haben. Ich vermute, dass eine Organisation dahintersteckt. Ich schlage dir einen Deal vor: Info gegen Cash. 

Meine Liebe, Sie sind entweder völlig unverschämt oder sehr dumm. Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich wollte dich kennenlernen, weil du eine interessante Person bist. Was ist dein Beruf und wo wohnst du? Ich lebe zurzeit in Aleppo, aber ich komme aus Frankfurt. Dort lebt meine kleine Tochter. Hast du auch Kinder?

Das geht Sie nichts an. Ich biete Ihnen Geld, wenn Sie mir etwas darüber sagen, warum Sie Romance Scammer geworden sind. Arbeiten Sie alleine? Müssen Sie das Geld, dass Sie ergaunern, abgeben? Wo leben Sie? Ich merke doch, dass Sie nicht wirklich Deutsch können. Lassen Sie uns einfach mit offenen Karten spielen. Wer sind Ihre Hintermänner? 

Okay. Ich bin ein Mann, der mit Beweisen und Fakten arbeitet. Die Art, wie Sie schreiben, scheint ein Teil der Terroristen zu sein, die wir zu vermeiden versuchen. Ich arbeite für die UN, und wir haben Methoden, Terroristen wie dich zu vernichten.

Ah ja. Jetzt kommen wir der Sache endlich näher.

Wunderbar! Und ich versuche, Kriminellen wie Ihnen das Handwerk zu legen. Letzte Chance: helfen Sie mir. Oder ich zeige Sie an. You can help me – or I will sue you.

You are a very big fool. Don’t do something that will get yourself in problem. 

Ok – what do you wanna do to me?

I will fuck you up in so many ways. Ich habe Ihre Daten gespeichert. Das ist kein Spiel. Passen Sie auf.

Ich habe keine Angst vor Ihnen.

Das sollten Sie. Hören Sie auf, nach uns zu recherchieren. Oder Sie sind tot.

An dieser Stelle bricht die Unterhaltung ab. 

Als ich am nächsten Morgen meinen Computer starte, erkennt er mein Passwort nicht. Stattdessen erscheint auf dem Bildschirm in schwarzer Schrift der Satz: Lass uns in Ruhe.

Seitdem bin ich auf der Flucht. Meine Kreditkarte wurde geknackt. Mein Email-Account auch. Meine Freund*innen haben Hate-Mails erhalten und wollen nicht mehr mit mir sprechen. Ich habe Angst. Aber ich gebe nicht auf. Ich habe ein Ziel.  Ihr lest wieder von mir. 

Adventskalender MiniKrimi am 21. Dezember


Und heute wieder ein Krimi von der wunderbaren Dagmar T.! Danke. Aber Vorsicht. Ich habe tatsächlich Gänsehaut bekommen.

Bussi von der Weihnachtsfrau

Das war nun schon die 20. Weihnachtsfeier in dieser Woche, in der sie als Weihnachtsfrau die Stimmung rockte. 

Diese Veranstaltungen hatten nichts mit beschaulicher Weihnacht zu tun und auch so gar nichts mit Friede und Freude… nun ja, nicht für Alle jedenfalls. Für sie waren sie ein mäßig bezahlter Job. Jede Feier glich der anderen. Immer die gleiche Leier, die gleiche Feier, bei der sich meist Männer die Kante gaben. Ja, es gab auch die eine oder andere Frau, die nichts anbrennen ließ; aber das war nicht ihre Abteilung. Sie befasste sich mit der holden Männlichkeit. Da wurde mal hier, mal da geflirtet, geschäkert, und es wurden Küsschen verteilt, rein geschäftlich angemutet, versteht sich.

So manchER überzog aber die unverbindliche Weihnachtsstimmungs-Beschwingtheit und setzte mit Riesenschritten zum Sprung an… zum Seitensprung.

Zuerst erzählte man(n) von einem ausgefüllten Berufsleben, von Karrierechancen, von kostspieligen Hobbys, die man sich leisten konnte, ja durchaus, dann von Frau und Kindern… und irgendwann wurde es dann vertraulicher, schließlich intimer, eine Verabredung wurde ausgemacht, eine Visitenkarte mit Handynummer eingesteckt, ein Anruf avisiert. Man(n) würde noch Überstunden schieben müssen, war ja klar, wegen der Tage zwischen den Jahren, das würde die Gemahlin schon glauben, war sie doch schon so gewohnt. Ja, man(n) freue sich auf das Treffen, mit ihr, geheim… und feierlich!

Alles in Allem hatte sie heuer 13 Verehrer-Dates. Würde wieder anstrengend sein.

Ihr kleinkalibriger „Herzensbrecher“ war bereits aus der geheimen Kiste im Gartenversteck geholt und instand gesetzt, gesäubert, geschmiert und poliert. Und bestückt. Mit den kleinen Weihnachts-Kügelchen. Für jeden eine; sie traf sicher, das war klar. Ein Schuss, eine Kugel, einer weniger. 

So wurde manche Ehefrau noch vor dem heiligen Familienfeste von ihrem untreuen Ehemann erlöst. Rechtzeitig genug, damit es diesen Frauen nicht so erginge, wie es ihr damals geschehen war. Ein feierlicher Heilig Abend, am 1. Weihnachtstag noch Friede Freude Weihnachtsplätzchen und am 2. Feiertag ein Abschied mit gemeinen Worten und mit Tränen. 

Man hätte doch, du verstehst doch, wir könnten doch und er hätte das doch nicht gewollt… aber er hätte sich halt verliebt, da auf der Weihnachtsfeier, das sei einfach Liebe, da könne man(n) nichts machen…  

13 Männer, 13 Visitenkarten beschriftet mit „Bussi von der Weihnachtsfrau“, 13 gezielte Schüsse mitten ins Herz. Den Muff passend zu ihrem roten Wintermantel  würde sie waschen müssen, einige rote Tropfen hatten diesen bekleckert, würden sonst hässliche schwarze Flecke hinterlassen. Das gestohlene Handy, mit dem sie die Verabredungen mit den Ehebrechern plante, war bereits in den Tiefen des Flusses auf Nimmerwiedersehen versenkt. Alle Jahre wieder… sang die Weihnachtsfrau nach getaner Arbeit und verstaute den roten Mantel, den frischgewaschenen Muff und die Waffe im üblichen Versteck, bis zum nächsten Jahr…alle Jahre wieder.