Von der Autobahn geht es mitten hinein in die Filmkulissenlandschaft einer heilen Welt. Grüne Bergrücken, vor denen sich adrette Alpenhäuser an weiß blühende Apfelbäume schmiegen. Satte Weiden, buntes Fleckvieh, Raps so weit das Auge reicht. Am Talrand ragen weißbekränzte Gipfel in den Schlagrahmhimmel. Am Friedhof entlang und dann hinter dem Heuschober rechts über die Brücke. Das Haus des Bergdoktors entspricht allerdings schon auf den ersten Blick nicht der Filmvorstellungs-Vorlage. Ein Jahrhunderte alter Guts- und Gasthof, der Generationen von Reisenden und Wanderern als Rast- und Ruhepunkt gedient haben mag, Tulpen wiegen sich im Rasenwind, auf dem Pflaster des Parkplatzes stehen große Wagen.
Biedermeier-Eleganz in Weiß und Blau empfängt den Gast. Flausch schluckt die Schritte, und der Duft nach frisch gewaschener Wäsche weht durchs Treppenhaus. Ein Rollstuhl lehnt an der Aufzugwand. Der Unterschied zu einem Romantikhotel liegt in der Abwesenheit gedämpfter Lounge-Musik. Und in der stillen Heiterkeit, die unaufgesetzt den Raum durchschwingt.
Der Speisesaal ist weiß gedeckt. Der Teller wird von rechts gereicht, der rote Wein schmeckt samtig voll und grüßt den Gaumen temperiert. Murmeln, Gläserklingen, Lachen, eingerahmt vom Grün jenseits der hohen Fenster. Du sollst so lange ins Grün schauen, bis die Tränen kommen, sagt Hildegard von Bingen. Dann schwemmt alles Böse aus dir heraus, und Freude bleibt. Nein, dieses Haus ist kein Zauberberg!
Die Menschen lächeln, essen trinken, reden. Junge Gesichter mit langen Locken, manche mit kurzem Bubischnitt. Ältere Damen und alte Herren. Ein Saal voll geteiltem Leben. Gemeinsam haben sie vieles, auch ihre Krankheit.
Kranheit braucht Lösung. Lösung ist heiter. Ich habe oft gehadert mit diesem Satz an der Praxiswand meines Gynäkologen. Hier verstehe ich ihn zum ersten Mal. Lösung ist heiter. Lösung hat ein Vertrauen ins Morgen. Unbenommen und nicht vorherdefiniert. Also offen. Fürs ganze Leben.
….Es geht weiter, natürlich. Aber ich muss mich diesem Thema vorsichtig nähern, schrittweise. Zuviel hängt daran. Zuviele Ängste auch, eingestandene und noch undefinierte. Einen Zugang finden zu Krankheit und Bewältigung, Umgang und Verarbeitung. Wer kann beitragen?