Halb elf. Mia starrt das Telefon an, hypnotisiert es mit brennenden Augen. Schlafmangel reibt wie Sandpapier an ihren Lidern. Es ist das letzte Mal, hat Lou ihr versprochen. Danach höre ich auf damit. Und ich sage Sven, dass ich ihn verlasse. Und auch nicht mehr für ihn die Kastanien aus dem Feuer hole. Nur dieses eine Mal noch. Ich liebe dich.
Gestern war alles ruhig. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel keine Heckenschützen, keine Soldaten und, wenn Mia Lou glauben konnte, auch am Abend kein Raketenbeschuss. Heute sollte Lou die koptische Gemeinde im Osten der Stadt besuchen. Ihre Kirche ist schon drei Mal angegriffen worden, die Apsis ist eingestürzt, letzte Woche wurde der Pfarrer angeschossen. Die Menschen haben Angst und hoffen auf Hilfe durch die weltweite Öffentlichkeit. Sven hat das Interview, das Lou führen soll, gleich an mehrere internationale Sender verkauft. Lou ist eine routinierte Journalistin, menschlich und hoch professionell.
Mia schenkt sich noch einen Rotwein ein. Elf Uhr. Das hat nichts zu bedeuten, sagt sie sich. Die Verbindung durch die halbe Welt steht nicht immer, steht nicht gleich. Sie schaltet den Fernseher an, nichts. Den Tablet. Das Telefon klingelt in der selben Minuten, in der Mia in einem versteckten Insiderforum die Meldung liest, kaum mehr als eine Randnotiz. Deutsche Journalistin bei einem Attentat auf koptische Kirche getötet.
„Mia? Ich bin’s, Evelyn. Sven hat grade hier angerufen. Lou…… Ich dachte, jemand sollte es dir sagen….. Sie, sie ist…. Also sie wurde wohl voll von der Bombe erwischt. Sie haben sie direkt dort unten begraben, auf dem koptischen Friedhof. Alles schon passiert. Tut mir so leid!“
Mia schluckt einen dunklen Schrei hinunter und flüstert: „Danke. Danke dir.“
Dann steht sie auf. Trinkt ihr Glas aus, in einem Zug, und geht ins Schlafzimmer packen. Morgen wird sie den ersten Flieger nehmen.