Helikopter oder doch lieber keine Bildung?


Um einer Verärgerung meiner Leser vorzubeugen, mache ich es wie im Vorspann gewisser Filme im Abendprogramm und warne vorab: dieser Beitrag ist u.U. dazu geeignet, so genannte Gutmenschen zu verärgern oder sie zumindest zu verunsichern. Ich versichere deshalb, dass alle von mir in der Folge verbal gezeichneten Personen meiner Fantasie entspringen und etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen rein zufällig sind.

Und nun geht’s los.

Ich lebe in einem Münchner Stadtteil mit einem vergleichsweise hohen Bruttosozialprodukt, glaubt man der Statistik. Dass das stimmen mag, erkenne ich bei meinen abendlichen Hundegängen auf der anderen, der „guten“ Seite der vierspurigen Straße. Hier begrenzen Steine statt Bürgersteigen die Fahrbahn, aus weitläufigen Gärten dringt kein Laut, Gartenportale öffnen sich von Geisterhand, um blitzende SUVs hineinzulassen. Und die Einfahrten sind so breit, dass sie den dezent gebräunten, makellos coiffierten und perlengeschmückten Fahrerinnen das Rangieren ermöglichen. Doch auf der Seite, auf der ich wohne, da gibt es auch die anderen. Häuser und Menschen. Mietskasernen mit Satellitenschüsseln. Frauen in langen Gewändern und vermummenden Kopftüchern, Mädchen mit kneifenden Röcken und haushohen Stöckeln. Männer mit Ohrringen und Tattoos und solche, die schon am Morgen mit einem Bier auf der Parkbank sitzen. Und alte Menschen mit großen Taschen, die verstohlen in den Mülleimern nach Pfandflaschen fischen.

Nach der Tour durch den nahe gelegenen Zauberwald parke ich mein Fahrrad vor dem langgezogenen Bungalow mit den zwei Billigläden: einer Norma-Filiale und einem Backereidiscounter. Ja, die Semmeln sind ganz sicher vorgebacken und enthalten jede Menge Konservierungsstoffe. Und sie sind super lecker. Ich bestelle mir einen Cappuccino und eine Käsesemmel und für die Hunde ein Käse-Schinken-Croissant und übe mich in Resistenz gegen die Blicke, die sich aus der Schlange hinter mir in meinen Rücken bohren. Ob sie sich wegen der Geldverschwendung aufregen oder weil sie glauben, Hunde dürften keine Croissants fressen, ist mir nach zwei Jahren endlich egal.

Ich setze mich vor den Laden und schaue auf die Straße und die Bürgersteige. Das ist wie Super-RTL live. Eine wirklich sehr üppige Blondine, die sich in ein enges Leopardenkleid gezwängt hat, zündet  sich vor der Norma eine Zigarette an. Ihre Lippen umfassen das Mundstück, als dächte sie beim Ziehen an etwas ganz anderes.

Eine türkische Familie kommt aus dem Laden, Mutter und Tochter bepackt mit jeweils drei Tüten. Der Vater geht vorneweg und öffnet per Fernbedienung einen großen dunkelblauen Mercedes, während der kleine Sohn eine Packung Süßigkeiten aufreißt und das Papier auf die Straße streut.

Zwei blutjunge Mütter, gespickt mit Piercings, in knallengen Leggings und kunstvoll gestylten Nagelkrallen, kommen mir entgegen. Zwei Kleine krähen aus ihren Kinderwagen, zwei etwas größere Kinder tapsen nebenher. Mein kleiner Hund liebt kleine Kinder. Schwanzwedelnd springt er auf sie zu und bellt. „Die tut nichts, ist selbst noch ein Baby“, rufe ich den Müttern zu und komme mir vor wie eine lebendig gewordene Karikatur. „Passt schon“, sagt die eine nur. Die Frauen gehen einfach weiter, die Kinder patschen nach dem Hund, der freut sich und springt gleich eine Mutter an. Dafür kriegt er einen Keks.

Echt wahr, denke ich. Je bildungsferner die Menschen, desto natürlicher ihr Umgang mit Gefahrensituationen oder was man dafür halten könnte. Gutmenschen nennen es vielleicht Nachlässigkeit. Die in solchen Fällen sicher viel besser geeignet ist, Kinder auf das Leben vorzubereiten, als die Übervorsicht panischer Helikoptereltern. Solchen begegne ich beinahe täglich. Schon aus zwanzig Metern Entfernung schreien sie mir entgegen: „Nehmen Sie Ihre Hunde an die Leine, mein Kind hat ANGST.“ Sollte das Kind diese noch nicht haben, dann bekommt es sie spätestens JETZT. Andere stellen sich schützend vor ihren Nachwuchs und wedeln – rein prophylaktisch – mit Händen und Füßen den Hunden entgegen. Ich bin froh, dass diese auf so ein aggressives Verhalten meistens nicht reagieren. Wenn dann beide Tiere ruhig neben mir gehen, sagen solche Eltern oft Sachen wie: „Schau mal, Marc-Jonathan, das ist ein WauWau.“ Ach, Marc-Jonathan, ich sehe dich schon in zwanzig Jahren mit einer französischen Bulldogge neben dir auf dem Sitz deines Elektro-Cabrios. Und wenn du dann in einem Park einen richtigen Hund siehst, dann sagst du deiner Bulldogge: „Adonis, nicht hinschauen, da ist wieder so ein ekliger WauWau“.

Direkt neben meinem Haus ist ein Bolzplatz. Nachts wird er zum Treffpunkt vieler junger Leute in Tanktops und Jogginghosen. Sie nennen sich Chuck  oder Hassan, Samira und Janette. Sie trinken, sie rauchen, was sie noch alles machen, bekomme ich nicht mit. Aber ich fühle mich ziemlich sicher, denn ich glaube, nein ich weiß, von denen ist keiner ein komplexbehafteter, überbehüteter Psychopath, mit oder ohne Doppelnamen. Die haben immer so sein dürfen, wie sie sind. Und ich denke, das ist vielleicht auch ganz gut so.

 

2 Antworten auf “Helikopter oder doch lieber keine Bildung?”

  1. Liebe Monika, danke! ist naklar schwarzweiß, und noch dazu voller Fehler, weil ich, bevor ich korrigieren konnte, meiner Mutter das Abendbrot richten musste……GLG

  2. Sehr gut beobachtet!!! Die Vorwarnung war gar nicht nötig. Weiter so -ich liebe auch mehr unsere Seite….mo

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: