Ich habe das Wort schon mal gehört. In Verbindung mit der Kanzlerin. „Unserer“ (meiner? Hmmm) Kanzlerin. In einem Beitrag auf B5 Aktuell. Damit wache ich morgens auf. Dem entsprechend verschwommen ist meine Erinnerung daran, worum es bei dieser Reportage ging. Aber als ich anfange, den Artikel in meiner Sonntagszeitung zu lesen, in dem es um „nudging“ geht – und um den Erfinder des Begriffes, einen amerikanischen Verhaltensökonomen, kommt die Erinnerung wieder. Wem dieser Titel genauso fremd ist wie das denglische Wort, dem geht es nicht anders als mir vor noch nicht allzu langer Zeit. Aber das ist jetzt anders. Jetzt bin ich erleuchtet! Ich weiß, woran es liegt, wenn etwas schief läuft, in der Welt. Der kleinen und der großen. in der Politik, der Wirtschaft und der Liebe. Wer nicht nudget, der nicht gewinnt. Weshalb Barack Obama darauf setzt, und die EU, und, ja, auch Angela Merkel. Denn offenbar will sie auch die nächste Wahl gewinnen. Welche eine Vorstellung!
Gut – bevor mir meine Leser wieder abspringen, muss ich für diejenigen, die in verhaltensökonomischer Blindheit dahinwandeln, etwas erklären. Auch, um zu beweisen, dass ich zumindest im Ansatz verstanden habe, worüber ich hier gerade schreibe.
Ein Versuch am Amsterdamer Flughafen hat ergeben, dass Männer im Pissoir seltener daneben pinkeln, wenn links neben dem Abzug das Abziehbild einer Fliege aufgeklebt ist. DAS ist ein nudge. Also – nicht die Fliege, natürlich. Sondern das, was sie beim emotional belegten und rational Handelnden auslöst. Ein „heimlicher Anstoß für die freie Entscheidung“ – wie die FAZ titelt. Ein nicht ganz so intimes Beispiel: nach Obamas Annäherung an Cuba sei, so Thaler, ein Fonds gleichen Namens („Cuba“) in börsianische Höhen geschnellt, und das, obwohl der Fonds nicht das geringste mit Castros sonnigen Stränden zu tun hat. Angela Merkel soll sich im Zusammenhang mit der geringen Bereitschaft zur Organspende für nudging interessiert haben – um der unwilligen Bevölkerung mit einem „nudge“, einem freundschaftlichen Schubser, sozusagen, einen Stoß zu geben. Wie in Österreich. Dort ist, nachdem jeder Bürger ausdrücklich und schirftlich die Bereitschaft zur Organspende verneinen muss, die Spenderzahl angeblich rasant angestiegen. Frei nach dem Motto: wer nicht nein sagt, sagt ja.
„Liberalen Paternalismus“ nennen Thalers Kompagnon und Miterfinder das. Der Schlüsselbegriff ihrer Theorie – beinhaltet ein Paradoxon: Freiheit und Bevormundung sollen – angeblich – keine Gegensätze sein.Sagt die FAZ. Und das Gespann Thaler/Sunstein.
Clever, denke ich. Und fange gleich an zu überlegen, welche „nudges“ ich wo einsetzen muss, um die Verkaufszahlen meines Miniataurus in die Höhe zu treiben. Ich verschicke ein Mailing mit einem Kaufangebot, und wer nicht ablehnt, hat schon gekauft. Ätsch bätsch! Das Kleingedruckte nicht gelesen, oder was? Ehm – da WAREN wir doch schon mal? Und haben das zumindest halbwegs gesetzlich wieder in den Griff gekriegt? Kaltwerbung, unlauterer Wettbewerb und so. Aber halt, das gilt ja wieder nur für die „kleinen Fische“. Wie war das damals? Hast du nicht bis zum festgesetzten Datum verweigert, schwupps, warst du Soldat. Hat dich keiner mehr gefragt. „Gutt“, das ist nun auch Schnee von gestern, danke, Karl T. Doch jetzt mal ganz im Ernst: haben diese Verhaltensökonomen nicht vielleicht „die Sonne am Mittag“ entdeckt?
Mein Sohn ist ja inzwischen so gut wie flügge (ehm, naja, so gut wie :-). Und kann sich als Erwachsener noch wunderbar an all die kleinen „heimlichen Anstöße“ erinnern, mit denen ich erziehungstechnisch seine Entscheidungen in meine Bahnen gelenkt habe. Damit, dass ich mich hinter einer Säule im Einkaufszentrum versteckt habe, zum Beispiel, als er nach dreimaligem Rufen immer noch nicht von den Teddybären im Schaufenster Abschied nehmen wollte. Hui, da hatte er sich aber schnell entschieden, seine „Mamma“ zu suchen“. Oder als ich, als Motivationsschubser zum Zimmeraufräumen, kurzerhand ALLE Legosteine auf sein Bett geworfen habe – und ihn dazu. Autsch. Im Nu waren die Legos im Kasten. Meine Mutter hat mir mal 12 (!) Blumenkästen mit Geranien durch die 250 qm-Altbauwohnung in mein Zimmer getragen, nachdem ich der Bitte, diese zu gießen, lange nicht nachgekommen war. Die Erfahrung, wie leicht die armen Blumen mangels Wasser waren, hält bist heute an – und ich gieße meinen Garten regelmäßig 🙂
Schade eigentlich, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, so ein Buch zu schreiben wie Mr. Thaler. Das hätte sich vermutlich mangels Konkurrenz besser bzw. schneller verkauft als ein Trüffelkrimi.
Vielleicht sollte ich das ja nachholen. Mit einem Buch, das vor den möglichen Folgen eines Merkel-Nudgings warnt und post-Wahl-Szenarien ausmalt. Etwa so: wenn ihr euch von „Mutti“ so angestupst fühlt, dass ihr das Kreuz hinter ihrem Namen macht, unterschreibt ihr damit gleichzeitig die Erlaubnis auf völligen Verzicht jeglicher Privatsphäre. Das gilt dann für eure E-Mails ebenso wie für eure Bankgeheimnisse, und vielleicht lesen dann nicht nur die Amerikaner mit, sondern auch noch die Chinesen. Die werden sich dann dafür interessieren, welche Kondomfarben ihr bevorzugt – und das ganz und gar ohne die Notwendigkeit von irgendwelchen Freihandelsabkommen.
Nein! Das ist natürlich blanker Unsinn, meine Lieben! Ich habe maßlos übertrieben und wünsche euch jetzt einen erholsamen Sonntagabend. Übrigens: wer mir schreibt, wie die neuen Frankfurter Tatort-Kommissare waren, bekommt ein klitzekleines Geschenk von mir. (Haha, ich kann es noch, das „n“-Wort).