Ich sitze an meinem Schreibtisch vor einem fast weißen Blatt digitalen Papiers. Es ist zehn Uhr abends am vierzehnten Dezember. Unaufhaltsam verrinnen die Minuten während meine biologische Uhr tickt. Wenn ich mich jetzt nicht dranhalte, ist es zu spät und ich kriege es nicht mehr, mein Winterbaby. Meine Kopfgeburt. Nach Weihnachten ist zwar, in Anlehnung an Bayerns einzig verbliebenen Kaiser – Gott verschone ihn vor Golfausflügen nach Starnberg, nicht auszudenken, wenn ihm der Ball ins Wasser fiele und darauf er, schon wieder einer, armes Bayern – vor Weihnachten. Aber wer will schon im Frühjahr 2010 die ollen Kamellen aus dem letzten Jahrzehnt lesen…? Die Weihnachtskettenbriefe flattern schon seit November unheilvoll mit stilistisch coupierten Flügeln, sogar in meinem aktuellen Krimi, ohne den ich, wie Mimi, nie ins Bett gehe, wird diesen modernen Pamphleten der Kommunikationsgesellschaft gehuldigt. Man stelle sich vor, irgendwann geht die gesamte Menschheit an einem konzertierten Nuklearhappening zugrunde, kurze Äonen später kommt die Kolonialisationsabordnung von Pluto XXK und findet als einziges Dokument der vernichteten Erdpopulation – einen Weihnachtsrundbrief. „Tante Käthe hat uns sehr erfreut mit dem siebten gestrickten Kaffeekannenwärmer, den Franz-Ferdinand gleich als Brutstätte für seine Springmaus umfunktioniert hat.“ Zu sehen auf dem verblichenen Print eines automatisch belichteten Digitalfotos sind der kleine Racker, 2 Jahre 2 Zentner null Haare, die stolzen Eltern, Hund Katze Maus und Kaffekannenwärmer. Wow. Das waren Kulturen! Die wussten noch, was es heißt, Feste zu feiern! Da ging es hoch her.
Das Nuklearhappening hat sich lang und stetig angekündigt, vorbereitet in den Seelen jedes einzelnen Weltbürgers. Begonnen hat es mit der stetig wachsenden Liebe zu strahlenden Freudensäußerungen. Nach der Erfindung des Feuerwerks durch die Chinesen ging es knallbunt ab durch die Jahrhunderte. Kerzen am Baum, Lichterpryramiden am Fenster. Leuchtgirlanden als nächtliche Hauseinfassungen. Balkone werden zu Sprungschanzen für ganze Rentiergespanne. Jede Nacht wird die Polizei dutzende Male gerufen, weil ein dicker roter Weihnachtsmann sich diebisch an Hauswänden emporhangelt und die Bewegungsmelder zum Explodieren bringt. In den südöstlichen Regionen der Erde blitzen und flimmern die Leuchtraketen inzwischen sogar das ganze Jahr über Städten und Bergen! Schon in den letzten Zügen des Jahrtausends wurde die Maßeinheit der weihnachtlichen Vorfreude in Watt/Meter gemessen! Und ab ging’s mit Riesenschritten Richtung Klimaerwärmung. Die globale Dimension von Glasnost wird uns ja erst an den Polen so richtig klar. Gegensätze ziehen sich nicht mehr an, sie heben sich auf! Heute kommt ein gescheiter C02-Abdruck im Adventsschnee nicht mit lächerlichen Dioden daher!
Über die kann sogar der Münchner Bürgermeister nur lachen, von der Spitze seines mit 3000 Glühbirnen geschmückten Christbaums auf dem Marienplatz. Halt – bevor da jemand das Wort Umweltsünde in den Mund nimmt, möchte ich der Spekulation Ausdruck geben, dass dem adventlichen Verbrauch von lächerlichen 10 Tausend kwh lediglich eine gute Absicht zugrunde lag. Irgendwo müssen die Ladenhüter ja hin, jetzt, wo Europa Edisons Kopfgeburt ins Schattenreich verbannt hat. Na, wenigstens hatte der eine! Im Gegensatz zu mir. Ich kann mir heuer weder eine gescheite Weihnachtsgeschichte ausdenken, zur rechten Zeit, noch habe ich zündende Ideen für den Gabentisch.
Nicht, dass es an Anregungen mangeln würde. Die ganze Umwelt scheint sich vorgenommen zu haben, mir Geschenkideen zu soufflieren. Im Privatfernsehen wird für exklusiv originelle Abenteuergutscheinen geworben für die Männer, die alles besitzen und nichts halten können. Für grade mal 3868 Euro gibt es einen halbstündigen Rundflug mit einem Bundeswehr-Kampfjet für den Liebsten. Eine halbe Stunde, das mag auf den ersten Blick wenig erscheinen. Aber dazu gehören 5 Stunden Ausbildung an der lebenden Sicherheitsweste – Mann fliegt über Wasser – und Hilfe beim Ausfüllen der Abtretungserklärung für die Lebensversicherungen in 5 facher Ausfertigung. Und ganz ehrlich – dem Aussehen des Mannes beim Aussteigen nach zu urteilen, waren das die längsten 30 Minuten seines Lebens. Vielleicht hatte aber auch nur der Fernseher einen Grünstich.
Ach ja, es ist nicht einfach, beim Schenken heute noch Kreativität zu entwickeln. Was wären wir da ohne die selbstlose Hilfe der Konsumindustrie. Allein was sie sich einfallen lässt, um Senioren zu erfreuen, die doch schon alles haben, und das auch noch im Überfluss! Aber eine Insulinspritze in Form eines eleganten Füllfederhalters – nein, die haben sie sicher noch nicht! Ebenso wenig wie das schicke Tafelservice mit Saugnäpfen für alle, die die Hände auch im Alter nicht stillhalten können. Oder die elegante Drittlesebrille für alle, denen die knauserigen Angehörigen die Laserbehandlung schon wieder nicht gönnen wollen. Fast hätte ich die Brille gekauft, aber leider konnte ich den Preis nicht lesen. Zu klein. Wer es erotisch mag, der freut sich vielleicht über einen Gutschein für einen gepflegten Seitensprung? Erlebnis 18.de macht’s möglich. Eigentlich genial: die vom Partner gesteuerte Affäre. Damit nichts dem Zufall überlassen bleibt. Einschließlich der anfallenden Kosten. Denn mal ganz ehrlich: so ein Techtelmechtel mit der blonden Kollegin kann ganz schön ins Geld gehen, zwischen Essen und Kino und Wochenendtripps. Schon klar, dass Ehefrau da lieber auf Nummer sicher geht.
A propos Blind Date – ich ziehe da doch das Blind Dinner vor. Das ist überhaupt das ideale Geschenk für Leute, die sich nie entscheiden können, wo sie wann was und mit wem essen gehen wollen. Da wird ihnen alles abgenommen. Was du nicht weißt, macht dich nicht im Vorfeld vor Unsicherheit heiß. Und auch die Wahl der Garderobe fällt einfach flach. Einziges Kriterium sollte sein, dass man das komplette Outfit nach dem Essen zusammen mit der Serviette an der Garderobe abgibt und sich eine saubere Kleidergarnitur überzieht. Na wohl bekomm’s. Und falls man ob der Völlerei den Gürtel enger schnallen muss – eine führende Kaffevertriebsgesellschaft bietet heuer den Wendegürtel an. Ideal auch für solche Menschen, die in den letzten 20 Jahren eine Mauerphobie aufgebaut haben. Oder für solche, die angesichts der Berliner Schenkfreude – ich schenke dir und dir und dir jeden Monat ein neues Ministerium, aber dann nehme ich es dir auch gleich wieder weg, damit dein Bauklötzchenturm nicht höher wird als meiner – einen baldigen Farbwechsel herbeiwünschen.
Ja, was mag sich unser neuer Verteidigungsminister wohl zu Weihnachten wünschen? Sicher kein bengalisches Feuerwerk! Er hat ja was von dem Kerlchen aus Grimms Märchen, der auszog, das Fürchten zu lernen. Hoffen wir‘s – denn der gewinnt ja am Ende doch….. Und mal ehrlich, es wäre doch schade, wenn der schönste Mann im Kabinett mit mehr als nur einem blauen Auge davon käme. Nein, er hätte es wirklich nicht verdient, dass ihm z.B. der Kölner Dom ins Gesicht flöge. Transalpin gedacht. Ach – die deutschen Politiker bekommen sicher keine solchen Geschenke nachgeworfen. Diese Aufmerksamkeit sind sie den Wählern einfach nicht wert. Sie bekommen ja nicht einmal einen blanken Hintern gezeigt – und sei es nur für die Schweinegrippenimpfung.
Nein. Schwein werden wir nicht haben, am Heiligen Abend. Außer, ich würde so ein armes Tier vor der Fahrt zum Metzger retten können. Dann säßen wir in vertrauter Runde um den Baum, drei Generationen, Hund und Katze und das Schwein. Und würden ein automatisch belichtetes Digitalfoto schießen. Und es dann im Garten vergraben. Ganz tief. Für die Kolonialisten von Pluto XXK.
Frohe Weihnachten!