MiniKrimi vom 27. Dezember 2018


In den Rauhnächten zwischen Weihnachten und Neujahr sind die Grenzen zwischen sichtbaren und unsichtbaren Welten bekannterweise sehr dünn, zuweilen sogar durchlässig. Kommt gut behütet durch die Zeit, und genießt den einen oder anderen Kurzkrimi. Heute ein Nachlese zum Heiligen Abend von Lydia Heck.

Tief verschneites Land

Selten,  sehr selten zeigt sich der Heilige Abend in dem Gewand, das wir von ihm erwarten. Tief verschneit und unter einem stahlblauen Himmel.  Dieses Jahr war alles perfekt. Die Landschaft um den Chiemsee herum lag unter meterhohem Schnee. In dem Hotel,  in dem das Paar Weihnachten verbringen würde,  zogen seit dem Morgen verführerische  Küchendüfte durch alle Räume.  Fast hatten die gut betuchten  Gäste das Gefühl,  zu Hause zu sein. Es war wie früher,  als die Mutter im Morgengrauen die Weihnachtsgans ins Rohr geschoben hatte. Und der Geruch des Bratens den ganzen Heiligabend begleitete.

Das war kein Zufall. Der Sternekoch,  der dieses Hotel ein paar Jahre zuvor, entgegen dem Rat seiner Kollegen, verwirklicht hatte, wusste genau, was seine Gäste an diesem Tag und an diesem Abend brauchten. Es war die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit, welche an diesem Abend viele Menschen auf der Welt umtrieb. Jeder der solventen Teilnehmer an diesem besonderen „Abendmahl“ hatte seine ganz eigenen, gut gehüteten Gründe,  nicht im trauten Kreis einer Familie zu feiern. Und weder der Champagner zum Entree noch die zehn Gänge des Festessens auf zwei Sterne Niveau konnten darüber hinwegtäuschen. Genauso wenig wie die erlesenen Weine und Spirituosen,  die in Strömen flossen.

Selbstverständlich besuchte man später die Christmette in Aschau. Ein kleines Dorf,  dessen hellster Stern besagtes Hotel geworden war. Inklusive der Zwei Sterne-Küche. Nach der Christmette waren auch die letzten Hotelgäste von einem wohligen Gefühl erfüllt. Dieser Heiligabend war gelungen – und jeden Euro des mehrstelligen Betrages wert, den sie darin investiert hatten. Ganz sicher waren sie sich vorher nicht gewesen.  Die Erleichterung,  den Abend trotz der vielen unterschwelligen Probleme und der Einsamkeit so stilvoll im perfektem Rahmen absolviert zu haben,  gab ihnen Recht.  Sie hatten sich nichts vorzuwerfen.  Sie waren die einsame Spitze dieser Gesellschaft.

Niemand bemerkte den älteren Mann beim Verlassen der Kirche. Er lag zusammengekauert am Rande des Weges, zwischen dem Hotel und der Kirche.  Herr Klein hatte ein renommiertes Unternehmen aufgebaut.  Zusammen mit seiner Frau.  Im November war sie gestorben.  Die beiden Kinder waren schon lange aus dem Haus. Sie führten ihr eigenes Leben.  So hatten Herr Klein und seine Frau sie erzogen.  Stolz waren sie immer auf die Selbständigkeit ihrer Kinder gewesen. Herr Klein hätte seine Kinder  daher nie gefragt,  ob er das Fest bei ihnen verbringen dürfe.  Ein paar Gläser Wein zu viel  an diesem Abend, an dem niemand mehr als ein paar oberflächliche Worte mit ihm gewechselt hatte.  Er war nie ein Meister des Smalltalks gewesen, und selbstverständlich war keiner daran interessiert, die Trauer in seinen Augen näher zu ergründen. Mitmenschliche Gefühle war im Preis nicht inbegriffen.

Ob die anderen Gäste ihn auf dem Rückweg ins Hotel nicht sahen oder nur nicht sehen wollten? In den hellen, warme Räumen gab es noch eine hervorragende Feuerzangenbowle,  begleitet von Andersen Geschichte vom Mädchen mit den Streichhölzern, vorgetragen von einem bekannten Schauspieler. Allen waren sehr berührt. Halleluja.

 

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