17 Uhr. Die Mittagshitze ist einer vorabendlichen Wärme gewichen, die Parkbäume werfen kühlen Schatten vor sich her. Meine Mutter wird unruhig. „Der Hund muss raus“. Eine Feststellung, keine Frage. Sie bewegt sich in systematischer Ziellosigkeit zwischen Bett und Schreibtisch hin und her. Nimmt hier eine Bluse in die Hand, öffnet dort die Handtasche, kramt ohne zu suchen. Schließlich der Griff zum Haarspray, zwei Striche auf die Lippen. Der Gang ins Bad. „Ständig muss ich zur Toilette. Das war nie so.“ Seit Jahren dieser Satz. Dann nimmt sie ihre Handtasche, sucht nach den Taschentüchern darin. Findet sie nicht. „Hast du Taschentücher? Ich habe keine mehr!“ „Doch, Mama, du hast vorhin ein Päckchen eingesteckt“. „Ach ja? Das bildest du dir ein!“ „Ich hol dir ein neues Päckchen.“ „Nein, schau in die Tasche, hier! Da sind sie! ich wollte dich testen!“ Antwortlos gehe ich in die Küche zurück, zu Pasta, Pesto und Salatvorbereitungen. Oben höre ich sie weiterkramen. Jetzt wird auch der Hund unruhig. Bellt. Sie an. Endlich höre ich sie die Treppen hinuntergehen. Feste kleine Schritte, der Hall auf jeder Stufe wie ein tiefer Abdruck im Stein. „Ich gehe.“ Der Hund bellt wie verrückt und tänzelt vor der Tür. Keine Leine. „Hier, Mama.“ „Nein, das ist nicht die Leine.“ „Doch. Schau!“ „Ach ja, aber DIE habe ich nicht gemeint.“ Ciao. Weiterlesen „Der Leuchtturm“
VuvuSeelen
„Global brutal“ heißt der Titel eines Buches von Michael Chossudovsky. Entfesselter Welthandel, Armut und Kriege sind eine Facette der Globalisierung. Einer anderen begegne ich in der Münchner U-Bahn. Schwarz neben weiß neben braun sprechen oder radebrechen. Tippen auf die gleichen Microtasten, tragen gleiche Propfen in den Ohren, nur die Rhythmen, die mir auf die Nerven tropfen, sind verschieden. Weiterlesen „VuvuSeelen“
Meisterwelten
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aber vom Thron. Statt in Himmelblau sollten die Azzurri sich lieber in Sack und Asche kleiden, vor ihrem immanenten Heimflug. Um die Absturzgefahr zu minimieren.
Mein Kampf
Das Gedächtnis meiner Mutter ist wie ein Aprilhimmel. Oder ein Junihimmel. In diesem Jahr. Sie lehnt in der Tür, so klein und faltig in Gesicht und Hosen. Der Rückzug ist nicht nur innerlich. Auch dem draußen entzieht sie sich immer mehr, in einem globalen Schrumpfungsprozess. Vergessen das Drama vor einer Stunde. Worum ging es noch? Medikamente? Das Auto? Der Hund? Sie schaut mich an. Sagt: „Weißt du, wenn ich in deiner Situation wäre und meine Mutter hätte diese Krankheit (sie vermeidet den Namen, umgeht und umschreibt ihn, schützt Vergessen vor, wobei dies vielleicht ihr letztes erinnertes Wort sein wird, so, wie ich sie kenne), dann würde ich Mitleid mit ihr haben. Ich würde sie bewundern dafür, wie stark sie ist, wie sie um ihre Unabhängigkeit kämpft! Aber du….“ Weiterlesen „Mein Kampf“
Das Medikamententablett
Sonntagmittag. Regenhimmel. Draußen wischen in Minutenabständen Autoreifen Wasser von der Fahrbahn, platschend. Vor dem Fenster tropfen die Geranien. Meine Mutter steht im Zimmer. In beiden Händen hält sie leere Medikamententabletts, wie die, die man im Krankenhaus bekommt. „Mittwoch, Donnerstag“, ruft sie mich. „Wo ist heute? Muss ich heute keine Medikamente nehmen?“ „Doch, heute morgen habe ich dir schon 4 gegeben. Die nächsten Tabletten gibt es gleich zum Mittagessen.“ „Wo sind meine Medikamente? Ich will meine eigenen Medikamente nehmen, ich muss regelmäßig meine Medikamente nehmen!“ „Ja. Aber während du in der Tagesklinik bist, übernehmen die da die Medikamentengabe. Und weil du letzte Woche damit durcheinandergekommen bist und daheim nochmal deine eigenen Tabletten genommen hast, musste ich die alle wegpacken.“ Weiterlesen „Das Medikamententablett“
Parkgänger
Sie ziehen ihre Spuren durch den Park. Schneckenläufe zwischen flüsternden Geschichten, Einsamheiten in den Fängen blattverliebter Lispelwinde. Weisheitsweiß von Blickwipfel zur Hosenspitze schlendern sie zwei Finger breit über den Schattenwegen. Dunkle Ausweichaugen werfen ihre Ruten hinter deinem Rücken. Manche schleppen einen Hund im Tau, auch er nur eine blass getuschte Täuschung alternder Lebendigkeit. Andere kleben harzbeträumt auf braunen Bänken ohne Sonnenmut. Schießen stumm und nachgespäht Vermutungen auf deinen Gang. Gartenzwerge Restbestände eines ausgespielten Liebesmemory.